Wer zu lange wartet, den bestraft das Verletzungsgericht

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Die Frage, ob sich der Antragsteller dringlichkeitsschädlich verhalten hat, ist anhand seines tatsächlichen Vorgehens zu beurteilen. Maßnahmen, die er nicht ergriffen und/oder deren Vornahme er im Falle eines Bestreitens nicht glaubhaft gemacht hat, sind nicht zu berücksichtigen. Sie können ein längeres Zuwarten mit der Anbringung des Verfügungsantrages bei Gericht auch dann nicht rechtfertigen, wenn der Antragsteller die betreffenden Maßnahmen ohne negative Folgen für die Dringlichkeit seines Begehrens hätte durchführen können.

Zum Urteil

OLG Düsseldorf, I-15 U 4/17, Beschluss vom 29.06.2017 (unveröff.)

Relevante Rechtsnormen

§ 945 ZPO

Sachverhalt

Die Antragstellerin ist eingetragene Inhaberin eines europäischen Patents, das ein vakuumunterstütztes Wundbehandlungssystem betrifft. Mit Entscheidung vom 01.06.2016 hat die Technische Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes das Verfügungspatent mit leicht geänderten Patentansprüchen aufrechterhalten. Die schriftlichen Gründe der Entscheidung waren am 05.10.2016 verfügbar. Unter dem 07.10.2016 hat die Antragstellerin ihren Verfügungsantrag bei Gericht eingereicht. Das Landgericht hat dem Antragsbegehren stattgegeben; auf die Berufung der Antragsgegnerin hat das Oberlandesgericht den Verfügungsantrag mangels Dringlichkeit zurückgewiesen.

Bisherige Rechtsprechung

Wegen des Eilcharakters jedes einstweiligen Verfügungsverfahrens steht dieses einem Antragsteller nur dann zur Verfügung, wenn er die gerichtliche Durchsetzung seines Anspruchsbegehrens auch selbst dringlich betrieben hat. Dies erfordert, dass der Antragsteller mit der Einleitung des Verfahrens nicht ungebührlich lange zuwartet, weil er ansonsten zu erkennen gibt, dass er seine Interessen selbst nur zögerlich verfolgt und deswegen keines umgehenden gerichtlichen Verbotes bedarf (OLG Düsseldorf, GRUR 2008, 1077 – Olanzapin). Wann die Dringlichkeit zu verneinen ist, lässt sich nicht anhand fester Fristen, sondern nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles bestimmen, was je nach konkreter Sachlage zu einem kürzeren oder längeren Zeitraum führen kann. Sobald der Antragsteller positive Kenntnis von den Umständen der Schutzrechtsverletzung hat, ist er gehalten, seine Ansprüche zügig und ohne Nachlässigkeit zu verfolgen (OLG Düsseldorf, BeckRS 2014, 01174; OLG Karlsruhe, GRUR 2015, 509 – Ausrüstungssatz).

Konkret bedeutet dies, dass sich der Antragsteller vom Zeitpunkt der Kenntniserlangung an unverzüglich darüber klar werden muss, ob er gegen den festgestellten Verletzungstatbestand vorgehen will, und im Anschluss daran ohne zeitliche Verzögerung alles Notwendige unternehmen muss, um den Sachverhalt in einer solchen Weise aufzuklären und für eine Rechtsverfolgung aufzubereiten, dass er mit Aussicht auf Erfolg ein gerichtliches Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz anstrengen kann. Dabei steht der Zeitraum, den der Antragsteller zur Vorbereitung eines erfolgversprechenden Verfügungsantrages für die sorgfältige Ermittlung des Sachverhaltes und für die Beschaffung geeigneter Glaubhaftmachungsmittel benötigt, der Dringlichkeit nicht entgegen, solange die erforderlichen Schritte jeweils zielstrebig in die Wege geleitet und zu Ende geführt werden (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2013, 236 – Flupirtin-Maleat). Der Antragsteller braucht hierbei kein Prozessrisiko eingehen, weswegen er sich um alle diejenigen Glaubhaftmachungsmittel bemühen darf, die bei einer im Vorhinein nicht absehbaren Verteidigung des Antragsgegners auch nur möglicherweise relevant werden können, um den Verletzungstatbestand in der erforderlichen Weise glaubhaft zu machen.

Da der Rechtsbestand des Verfügungspatents hinreichend gesichert sein muss, um das Schutzrecht im einstweiligen Verfügungsverfahren durchzusetzen, steht es der Dringlichkeit nicht entgegen, wenn der Antragsteller eine ihm günstige erstinstanzliche Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung abwartet (OLG Düsseldorf, InstGE 12, 114 – Harnkatheterset). Darüber hinaus kann es nach den Umständen des Einzelfalles gerechtfertigt sein, die schriftlichen Entscheidungsgründe bzw. die im Rechtsmittelzug anstehende Einspruchsbeschwerde- oder Nichtigkeitsberufungsentscheidung abzuwarten (OLG Düsseldorf, BeckRS 2016, 03306 – Ballonexpandierbare Stents). Dies ist etwa hinzunehmen, wenn berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der zu Gunsten des Patentinhabers getroffenen und vom Gegner angefochtenen Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung bestehen, wobei die Unsicherheit auf neuen Einwendungen gegen den Rechtsbestand beruhen, sich bei unverändertem Sach- und Streitstand aber auch schlicht daraus ergeben kann, dass sich die erstinstanzliche Rechtsbestandsentscheidung bei objektiver Betrachtung als möglicherweise fehlerhaft herausstellt (OLG Düsseldorf, BeckRS 2016, 03306 – Ballonexpandierbare Stents). Ein Abwarten speziell der Entscheidungsgründe kann berechtigt sein, wenn sich erst mit deren Kenntnis zuverlässig beurteilen lässt, ob der Rechtsbestand hinreichend gesichert ist und ob auf Grundlage der Auslegung der Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanzen das Verfügungspatent verletzt wird (OLG Düsseldorf, BeckRS 2011, 16625). Aus dem letztgenannten Gesichtspunkt heraus mag es im Einzelfall sogar gerechtfertigt sein, die Gründe einer nicht mehr anfechtbaren Rechtsmittelentscheidung im Rechtsbestandsverfahren abzuwarten.

Entscheidungsgründe

Die Frage, ob sich der Antragsteller nach Maßgabe der vorstehenden Regeln dringlichkeitsschädlich verhalten hat, ist anhand seines tatsächlichen Vorgehens zu beurteilen. Maßnahmen, die er nicht ergriffen und/oder deren Vornahme er im Falle eines Bestreitens nicht glaubhaft gemacht hat, sind nicht zu berücksichtigen. Sie können ein längeres Zuwarten auch dann nicht rechtfertigen, wenn er sie ohne negative Folgen für die Dringlichkeit hätte durchführen können.

Mit Blick auf ein parallel anhängiges Rechtsbestandsverfahren bedeutet dies, dass der Antragsteller die schriftlichen Entscheidungsgründe nicht stets und unabhängig von den Umständen des Einzelfalles abwarten darf. Vielmehr ist zu beurteilen, ob im konkreten Streitfall die Rechtsbestands- und/oder Verletzungsfrage noch nicht in einer Weise geklärt sind, dass ein Verfügungsantrag mit sicherer Aussicht auf Erfolg gestellt werden kann. Es muss mithin ein triftiger Grund für das Abwarten vorliegen. Maßgebend dafür ist eine objektive Betrachtung aus der damaligen Sicht des Patentinhabers anhand der ihm seinerzeit bekannten Umstände. Daher rechtfertigt insbesondere die immer gegebene Möglichkeit, dass in den Entscheidungsgründen einer Rechtsbestandsentscheidung relevante Ausführungen zur Auslegung des Patentanspruchs enthalten sein könnten, es als solche noch nicht, den Verfügungsantrag bis zu deren Veröffentlichung zurückzustellen. Vielmehr ist dies nur zulässig, wenn der Patentinhaber aufgrund konkreter Umstände, wie etwa des Inhalts einer mündlichen Verhandlung im Rechtsbestandsverfahren, die begründete Erwartung hegen darf, dass die schriftlichen Gründe der Rechtsbestandsentscheidung zu einer hinreichenden Klärung der bislang noch unklaren Verletzungsfrage beitragen werden.

Konsequenz

Wer einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nehmen will, der sollte sich keine unnötigen Verzögerungen leisten.

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