Technische Daten in der Anmeldung sind das A und O | T 488/16

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EP1169038

Es ist nicht zulässig, eine generische Formel – die Millionen von Verbindungen abdeckt – lediglich anzugeben, vage eine “Aktivität” dieser Verbindungen aufzuzeigen und es dabei der Phantasie des Fachmanns zu überlassen oder auf künftige Untersuchungen zu hoffen, um festzustellen, welche Verbindungen geeignet sind, die damit verbundenen Wirkung zu erzielen.

Zur Entscheidung

T 488/16, Entscheidung vom 1.2.2017

Relevante Rechtsnormen

Artikel 56, 83 EPÜ

Sachverhalt

Das Streitpatent betraf Thyrosinkinaseinhibitoren in Form einer generischen Strukturformel zur Behandlung von immunologischen und onkologischen Störungen und sollte insbesondere das Antikrebsmedikament Sprycel® mit dem Wirkstoff Dasatinib unter Schutz stellen. Ein Medikament mit einem jährlichen Milliardenumsatz. Die Patentschrift enthielt keinerlei Daten.

Nach Erteilung des Patents legten gleich 4 Einsprechende Einspruch ein, wobei sie ihren Einspruch u.a. auf mangelnde erfinderische Tätigkeit und unzureichende Offenbarung der technischen Wirkung stützten.

Zur Verteidigung reichte die Patentinhaberin einen Haupt- und zwei Hilfsanträge ein und führte als Beleg für die ausreichende Offenbarung nachveröffentlichte Dokumente an.

Die Einspruchsabteilung widerrief jedoch das Streitpatent vollumfänglich mit der Begründung, dass der Hauptantrag die technische Wirkung der erfindungsgemäßen Verbindungen für die beanspruchte Behandlung von Krebs nicht hinreichend offenbare. Nach Auffassung der Einspruchsabteilung konnte dieser Mangel auch nicht durch Vorlage nachveröffentlichter Dokumente geheilt werden. Der Gegenstand des ersten Hilfsantrags war unzulässig erweitert, wohingegen der Gegenstand des zweiten Hilfsantrags wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen wurde. Letzteres begründete die Einspruchsabteilung damit, dass – aufgrund mangelnder Offenbarung der technischen Wirkung – die zu lösende Aufgabe lediglich als die Bereitstellung alternativer Verbindungen definiert werden. Die vorgeschlagene Lösung wurde als eine bloße Anreicherung des Pools von organischen Verbindungen angesehen, die hinsichtlich des angeführten Stands der Technik nicht als erfinderisch angesehen wurden.

Hiergegen legte die Patentinhaberin Beschwerde ein – zu Unrecht.

Zur Begründung machte die Inhaberin einerseits geltend, dass kein absoluter Beweis für die technische Wirkung erforderlich sei und das EPÜ keinen experimentellen Nachweis verlange. Zudem sei der beanspruchte Wirkstoff keine willkürlich ausgewählte Verbindung, sondern gehöre zu einer sich entwickelnden Gruppe von Verbindungen, wobei der Fachmann auch ohne irgendwelche Daten zu liefern, klar erkennen würde, dass der Wirkstoff qualitativ besser als die früheren Gruppen von Verbindungen sei.

Bisherige Rechtsprechung

Bei der Prüfung der ausreichenden Offenbarung müssen die Kammern überzeugt sein, dass der Fachmann – erstens – der Patentschrift mindestens einen Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung entnehmen und sie – zweitens – im gesamten beanspruchten Bereich ausführen kann (T 792/00). Allerdings werden zur Stützung breiter Ansprüche, bei denen der Kern der Erfindung die Erzielung einer bestimmten technischen Wirkung ist und ernsthafte Zweifel bestehen, ob diese Wirkung ohne Weiteres im gesamten beanspruchten Anwendungsbereich erzielt werden kann, umfangreiche technische Angaben und mehr als ein Beispiel für notwendig erachtet (s. T 612/92, T 694/92, ABl. 1997, 408; T 187/93 und T 923/92).

Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern hat die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu dem für das Patent maßgebenden Stichtag anhand der im Patent enthaltenen Informationen in Verbindung mit dem zu diesem Zeitpunkt verfügbaren allgemeinen Fachwissen zu erfolgen (T 609/02, T 1329/04, T 1545/08). Nachveröffentlichte Beweisstücke dafür, dass der beanspruchte Gegenstand die gestellte Aufgabe löst, werden berücksichtigt, wenn anhand der im Patent enthaltenen Offenbarung bereits glaubhaft erscheint, dass die Aufgabe tatsächlich gelöst wird. Allerdings können nachveröffentlichte Beweisstücke nicht die einzige Grundlage für den Nachweis bilden, dass die Aufgabe tatsächlich gelöst wird (T 1329/04, T 415/11).

Entscheidungsgründe

Mit der Entscheidung vom 1. Februar 2017 hat die Beschwerdekammer des EPA die Entscheidung der Einspruchsabteilung nun bestätigt.

Aufgrund des Fehlens jeglicher technischer Daten in der Patentschrift sei die technische Wirkung nicht plausibel dargelegt, so dass sich die technische Aufgabe der Erfindung in der bloßen Bereitstellung alternativer Verbindungen erschöpft. Eine chemische Verbindung ist jedoch nicht nur deshalb patentierbar, weil sie die Chemie bereichert, solange sie nicht mit einer Wirkung oder einer Steigerung einer Wirkung verbunden ist. Die bloße Bereitstellung einer chemischen Verbindung, die synthetisiert werden kann, aber keine Wirkung zeigt, erfordert daher keinen erfinderischen Einfallsreichtum.

Nach Auffassung der Kammer bedeutet die strukturelle Ähnlichkeit kleiner Moleküle auch nicht zwangsweise eine ähnliche Wirkung. Ihre Wirkung ist im Allgemeinen unvorhersehbar und sogar kleinere strukturelle Veränderungen können die Aktivität stören. Es besteht keine etablierte Struktur-Aktivitäts-Beziehung, die es – (wie vorliegend) bei völliger Abwesenheit von nachprüfbaren Daten – plausibel machen würde, dass der beanspruchte Wirkstoff auch die beanspruchte Wirkung aufweist. Die strukturelle Einzigartigkeit von Dasatinib allein könne daher ebenfalls keine erfinderische Tätigkeit begründen.

Grundsätzlich stimmte die Kammer der Patentinhaberin zwar zu, wonach es nicht immer erforderlich sei, experimentelle Daten oder Ergebnisse in eine Anmeldung aufzunehmen (vgl. T 578/06). Stützt sich die Erfindung (wie vorliegend) allerdings auf eine technische Wirkung, die überraschend und unvorhersehbar ist und auch auf keinem schlüssigen theoretischen Konzept beruht, so ist es eine zwingende Voraussetzung, dass in der Anmeldung zumindest plausibel dargelegt ist, dass die technische Aufgabe der Erfindung am Anmeldetag tatsächlich gelöst wurde.

Nach Auffassung der Kammer ist es nicht zulässig, eine generische Formel – die Millionen von Verbindungen abdeckt – lediglich anzugeben, vage eine “Aktivität” der Wirkstoffe aufzuzeigen und es dabei der Phantasie des Fachmanns zu überlassen oder auf künftige Untersuchungen zu hoffen, um festzustellen, welche Verbindungen geeignet sind, die damit verbundenen Krankheiten zu behandeln.

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