Anspruch schön und gut – aber was sagt die Beschreibung dazu?

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In T 1658/12 hat die Beschwerdekammer erneut darauf hingewiesen, dass stets darauf abzustellen ist, was der Fachmann einem Dokument als Ganzes entnimmt. Bei spezifischen Merkmalskombinationen, die nur in den Ansprüchen eines Patentdokuments offenbart sind, muss daher sehr sorgfältig geprüft werden, ob diese Kombination wirklich der technischen Lehre des Dokuments entspricht.

Zur Entscheidung

T 1658/12, Entscheidung vom 6. April 2017

Relevante Rechtsnormen

Art. 56 EPÜ; RdBK I.C.4.1

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall hatte die Prüfungsabteilung eine Patentanmeldung, die ein System zur direkten Abgabe von benutzerdefinierten Getränken beanspruchte, zurückgewiesen, da der beanspruchte Gegenstand ausgehend von D2 für den Fachmann offensichtlich nahegelegen hätte.

Nach Auffassung der Prüfungsabteilung offenbarte D2 in derselben Ausführungsform zwar nicht explizit die Merkmalskombination, wonach “der Prozessor ein Signal an die mindestens eine Abgabeeinrichtung übermittelt” und wobei „die Vorlage der Benutzerkennung an das Lesegerät die [direkte] Abgabe des ausgewählten Elements auslöst“, allerdings sei eine solche automatisierte Verwendung des Systems durch die Ansprüche 35-38 in D2 offenbart.

Dagegen legte die Anmelderin Beschwerde ein – zu Recht.

Bisherige Rechtsprechung

Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern dürfen bei der Auslegung eines Dokuments – insbesondere einer Patentanmeldung oder eines Patents – zur Ermittlung seiner wirklichen Bedeutung und damit seines Offenbarungsgehalts dessen einzelne Teile nicht losgelöst vom übrigen Dokument betrachtet werden: Es muss im Gegenteil jeder Teil des Dokuments im Gesamtzusammenhang ausgelegt werden. Selbst wenn also ein Teil des Dokuments eine bestimmte Bedeutung zu haben scheint, wenn er wörtlich und losgelöst vom übrigen Dokument ausgelegt wird, kann seine wirkliche Bedeutung bei Berücksichtigung der übrigen Teile eine ganz andere sein (vglT 312/94).

Dies steht auch in Einklang mit T 969/92, wonach man bei der Ermittlung dessen, was der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, nicht nur den Hauptanspruch, sondern auch den Rest eines Patentdokuments sorgfältig in Betracht zu ziehen hat, um herauszufinden, was durch die Vorveröffentlichung tatsächlich vermittelt wird, d. h., um den tatsächlichen ausdrücklichen und impliziten Informationsgehalt festzustellen.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdekammer führte aus, dass bei der Bestimmung dessen, was i.S.v. Art.54(2) EPÜ als der Öffentlichkeit durch ein Patentdokument des Standes der Technik zugänglich gemacht angesehen wird, berücksichtigt werden muss, dass es sich um die Beschreibung handelt, die hauptsächlich zur Offenbarung der Erfindung in einer Weise dient, dass diese ausführbar ist. Demgegenüber besteht die Hauptfunktion der Ansprüche darin, den Gegenstand zu definieren, für den Schutz ersucht wird.

Wenn daher eine bestimmte Merkmalskombination nur in den Ansprüchen (oder nur in den Ansprüchen und einer “Zusammenfassung der Erfindung”, die lediglich die Merkmale der Ansprüche rezitiert) zu finden ist, muss sehr sorgfältig prüft werden, ob diese Kombination wirklich der technischen Lehre des Dokuments entspricht, wie es von einem Fachmann verstanden werden würde, oder ob es sich lediglich um ein Artefakt des Anmeldeentwurfs handelt, der darauf abzielt, einen größtmöglichen Schutzumfang zu erreichen.

Es sei zwar korrekt, dass sie Ansprüche 35-38 von D2 keinen benutzerdefinierten Auswahlschritt definieren, allerdings sind D2 keine Beispiele oder Ausführungsformen zu entnehmen, bei denen dieser benutzerdefinierte Auswahlschritt fehlt. Demgegenüber sind D2 viele eindeutige Beispiele zu entnehmen, bei denen das Abgabesystem derart eingerichtet ist, dass die Abgabe von Getränke auf einem benutzerdefinierten Auswahlschritt basiert.

Somit gelangte die Beschwerde zu dem Schluss, dass dem Inhalt von D2 als Ganzes keine direkte Abgabe ohne einen solchen benutzerdefinierten Auswahlschritt zu entnehmen ist, sodass der beanspruchte Gegenstand der strittigen Patentanmeldung im Ergebnis auf einer erfinderischen Tätigkeit basiert. Der Fall wurde daher zur Erteilung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

Konsequenz

Wenn folglich in einem Patentdokument keine Ausführungsform und kein Beispiel angegeben sind, in dem eine spezifische Merkmalskombination, die nur Gegenstand der Ansprüche ist, eindeutig angegeben sind, so gilt die spezifische Merkmalskombination nicht zwangsläufig als offenbart.

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