Keine Erstattung gezahlter Lizenzgebühren bei Feststellung der Nichtbenutzung oder Widerruf des lizenzierten Patents

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Zum Urteil

EuGH, Urt. v. 07.07.2016, C-567/14, veröff. InfoCuria

Relevante Rechtsnormen

Art. 101 AEUV

Sachverhalt

Genentech hatte im Jahr 1992 eine nicht ausschließliche weltweite Lizenz für die Nutzung einer Erfindung auf dem Gebiet der Biotechnologie, den sog. HCMV-Enhancer. Diese Erfindung war Gegenstand eines europäischen Patents und zweier US-Patente. Genentech nutzte den HCMV-Enhancer zur Herstellung eines biologischen Arzneimittels namens Rituxan, das in den USA und der EU vertrieben wurde. Der Lizenzvertrag sah eine jährliche feste Gebühr und eine laufende Gebühr von 0,5 % des Nettoumsatzes mit Fertigerzeugnissen der Lizenznehmerin vor. Genentech entrichtete die jährliche Gebühr, zahlte jedoch nie die laufende Gebühr an die Lizenzgeberin. Das europäische Patent wurde im Jahr 1999 widerrufen. Im Jahr 2008 verlangte die Lizenzgeberin von Genentech Auskunft über die vertriebenen Fertigerzeugnisse, woraufhin Genentech die Lizenzvereinbarung umgehend kündigte.

Die Lizenzgeberin verklagte Genentech daraufhin für den Zeitraum bis zur Kündigung des Lizenzvertrags auf Zahlung der Lizenzgebühr vor einem Schiedsgericht. Für die Zeit nach der Kündigung klagte sie wegen Verletzung der beiden US-Patente in den USA gegen Genentech. Das US-Gericht urteilte, dass Genentech die US-Patente nicht verletzt habe. Der Einzelschiedsrichter kam in dem Schiedsverfahren hingegen zu dem Ergebnis, dass Genentech für die Vergangenheit auf Zahlung der laufenden Gebühr hafte.

Genentech klagte vor dem Cour d’appel de Paris auf Nichtigerklärung des Schiedsspruchs und argumentierte, dass die Verpflichtung für ein nicht verletztes bzw. widerrufenes Patent Lizenzgebühren zu entrichten, gegen europäisches Kartellrecht verstoße. Es bestehe kein Rechtsgrund mehr für die Forderung, weshalb die Verurteilung zur Zahlung Genentech einen Wettbewerbsnachteil zufüge. Das französische Gericht legte die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

Bisherige Rechtsprechung

Seit über 100 Jahren sind die deutschen Gerichte der Auffassung, dass Lizenzgebühren nicht zu erstatten sind, wenn das lizenzierte Schutzrecht widerrufen wird oder ein Gericht feststellt, dass die Lehre des lizenzierten Schutzrechts nicht benutzt wird (RG Urt. v. 21.11.1914, RGZ 86, 45 – Sprungfedermatratze; BGH GRUR 1957, 595 – Verwandlungstisch; GRUR 2002, 787 – Abstreiferleiste; GRUR, 2005, 935 – Vergleichsempfehlung II). Dies fußt auf dem Gedanken, dass es sich bei einem Lizenzvertrag um ein “gewagtes Geschäft” handelt. Solange das Patent am Markt respektiert wird und Dritte die technische Lehre nicht unentgeltlich nutzen dürfen, erwirbt der Lizenznehmer bis zur Nichtigerklärung eine tatsächliche Nutzungsmöglichkeit und damit eine günstige geschäftliche Stellung, die er ohne den Lizenzvertrag nicht gehabt hätte. Nach Meinung der Gerichte rechtfertigt dieser faktische Vorteil des Lizenznehmers die Aufrechterhaltung der Zahlungsverpflichtung. Daher bleibt der Lizenznehmers für die Vergangenheit verpflichtet, solange die Parteien nichts anderes vereinbart haben (instruktiv LG Düsseldorf, Urt. v. 12.08.2008, 4b O 17/08 – Münzpfandschloss).

Entscheidungsgründe

Die Verpflichtung zur Zahlung einer Lizenzgebühr kann wirtschaftlich an den „Freedom to operate“ anknüpfen und diesen Wert auch nach Ablauf der Geltungsdauer des lizenzierten Patents widerspiegeln. Eine Zahlungsverurteilung, die von der Frage der Benutzung oder des Rechtsbestands des lizenzierten Patents entkoppelt ist, verstößt dann nicht gegen europäisches Kartellrecht, wenn der Lizenznehmer mit angemessener Frist kündigen kann.

Der EuGH verweist in Genentech darauf, dass er bereits in seiner Entscheidung Ottung (Urt. v. 12.05.1989, C-320/87) zu einer ausschließlichen Lizenzvereinbarung festgestellt habe, dass die Verpflichtung zur Zahlung einer Gebühr, auch nach Ablauf der Geltungsdauer des lizenzierten Patents, den Wert widerspiegeln könne, der nach kaufmännischer Beurteilung den mit dem Lizenzvertrag verbundenen Möglichkeiten der Nutzbarmachung beigemessen wird. Wenn ein Lizenzvertrag geschlossen werde, bezahle der Lizenznehmer neben der Benutzung der lizenzierten Schutzrechte auch für die Sicherheit, dass seine kommerziellen Verwertungsbemühungen nicht durch Verletzungsklagen des Lizenzgebers beeinträchtigt werden (Genentech, Rn. 40; “freedom to operate”). Solange es dem Lizenznehmer möglich sei, sich jederzeit von dem Lizenzvertrag zu lösen, sei auf der Grundlage von Ottung ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV nicht gegeben.

Der EuGH damit nimmt eine wirtschaftliche Betrachtung der einem Lizenzvertrag zugrunde liegenden Interessen der Vertragsparteien vor und stellt nicht auf den Wortlaut der Vereinbarung ab. Völlig zu Recht lehnt die Kammer einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV auf der Grundlage ab, dass es Genentech schließlich frei gestanden habe, den Lizenzvertrag zu kündigen.

Konsequenz

Würde man dem Lizenznehmer für den Fall der Nichtbenutzung bzw. Nichtigerklärung des lizenzierten Schutzrechts einen Erstattungsanspruch gewähren, hätten die Lizenznehmer nach Ablauf des Patentschutzes ein erhebliches Interesse daran, das entsprechende Patent zu vernichten. Der faktische Vorteil am Markt, den der Lizenznehmer während der Laufzeit des lizenzierten Patents erlangt hat, bliebe dann unberücksichtigt. Eine Kondiktion über das Bereicherungsrecht wäre nicht zielführend, da die Darlegungs- und Beweislast für den kaum zu beziffernden faktischen Marktvorteil des Lizenznehmers (“erlangtes Etwas”) beim Patentinhaber läge. Der Patentinhaber hat hingegen keine rechtliche Handhabe gegen die Rechtsbestandsangriffe seines einfachen Lizenznehmers, dem dieses Recht gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. b) TT-GVO nicht durch vertragliche Abrede genommen werden darf.

Die Leitentscheidung des EuGH trägt daher den Interessen der Vertragsparteien und der Öffentlichkeit angemessen Rechnung und dürfte insbesondere die forschende Industrie beruhigen.

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