Reichweite eines titulierten Unterlassungsgebots

0
2555
Aufrufe
© Counselling pixabay.com

Die Entscheidung befasst sich u. a. mit der Reichweite eines im Wege einer einstweiligen Verfügung ausgesprochenen Unterlassungsgebots gem. § 139 Abs. 1 PatG.

Zum Urteil

OLG Düsseldorf I-W 9/18, Beschluss vom 30.04.2018 (veröff. in juris)

Relevante Rechtsnormen

§ 139 Abs. 1 PatG, § 140a Abs. 3 PatG; § 890 ZPO, § 567 ZPO, § 574 Abs. 1 Nr. 2, 2 Nr. 1, 2 ZPO

Sachverhalt

Das Landgericht hat u.a. den Schuldnerinnen zu 1) bis 3) wegen Patentverletzung mit Urteilsverfügung unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt, die angegriffene Ausführungsform in Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.

Die angegriffene Ausführungsform wird ausschließlich über (Drogerie)Märkte und/oder Onlineshops von Drogerie- und Handelsketten unter der jeweiligen Eigenmarke dieser Ketten an Endkunden vertrieben.

Nach Zustellung der Urteilsverfügung unterrichteten die Schuldnerinnen ihre Abnehmer vom Erlass sowie der Vollziehung der einstweiligen Verfügung und stellten ihre eigenen Benutzungshandlungen ein. Ein Teil der Drogerie- und Handelsketten entfernte die angegriffene Ausführungsform aus ihren Märkten und retournierte diese auf eigene Initiative. Der andere Teil vertreibt die angegriffene Ausführungsform mit modifizierter Verpackung weiter.

Die Gläubigerin beantragte wegen (behaupteter) mehrfacher Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung die Festsetzung von Ordnungsmitteln. Ihren Antrag stützt sie u.a. auf den Umstand, dass die Schuldnerinnen im Hinblick auf die Unterbindung des weiteren Vertriebs der angegriffenen Ausführungsform durch ihre Abnehmer untätig geblieben sind.

Nach Ansicht der Gläubigerin beinhaltet das tenorierte Unterlassungsgebot auch die Verpflichtung, auf ihre Abnehmer/Vertriebspartner, mit denen eine dauerhafte enge Geschäfts- und Vertragsbeziehung bestehe und die mit den Schuldnerinnen eine gemeinsame Störquelle bildeten, einzuwirken und diese anzuhalten, einen Weitervertrieb der vor Erlass der einstweiligen Verfügung ausgelieferten angegriffenen Ausführungsform zu unterlassen. Dies umfasse aufgrund der Besonderheiten des Falles zumindest – erstens – die Aufforderung, den Vertrieb bis zum Ablauf des Verfügungspatents einzustellen und – zweitens – das Angebot an die Vertriebspartner, die patentverletzenden Produkte zurückzunehmen, sofern für sie eine vorübergehende Einstellung des Vertriebs nicht in Betracht komme.

Das Landgericht hat den Ordnungsmittelantrag vollständig zurückgewiesen.

Bisherige Rechtssprechung

Bei einer Handlung, die einen fortdauernden Störungszustand geschaffen hat, ist der die Handlung verbietende Unterlassungstitel mangels abweichender Anhaltspunkte regelmäßig dahin auszulegen, dass er nicht nur die Unterlassung derartiger Handlungen, sondern auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands umfasst (BGH GRUR 2018, 292 – Produkte zur Wundversorgung; BGH GRUR 2017, 823 – Luftentfeuchter; BGH GRUR 2017, 208 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH GRUR 2016, 720 – Hot Sox; BGH GRUR 2016, 104 – Artikel auf Internetportal „recht§billig“; BGH GRUR 2015, 258 – CT-Paradies).

Eine Unterlassungsverpflichtung erschöpft sich daher regelmäßig nicht im bloßen Nichtstun, sondern verlangt die Vornahme von Handlungen zur Beseitigung eines zuvor geschaffenen Störungszustands, wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot entsprochen werden kann, weil die Nichtbeseitigung des Verletzungszustands gleichbedeutend mit der Fortsetzung der Verletzungshandlung ist (BGH GRUR 2018, 292 – Produkte zur Wundversorgung; BGH GRUR 2017, 208 – Rückruf von RESCUE- Produkten). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich bei der Verletzungshandlung um eine Dauerhandlung des Schuldners handelt (BGH GRUR 2015, 258 – CT-Paradies; BGH GRUR 2014, 595 – Vertragsstrafenklausel; BGH GRUR 1993, 556 – TRIANGLE).

Sind entsprechende Handlungspflichten gegeben, kann der Unterlassungsschuldner auch verpflichtet sein, auf Dritte einzuwirken, um diese zu einem Tun oder einem Unterlassen anzuhalten. Der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs hat zwar für das selbständige Handeln Dritter grundsätzlich nicht einzustehen. Er ist jedoch gehalten, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt, einzuwirken, wenn er mit einem Verstoß ernstlich rechnen muss und zudem rechtliche und tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten der Dritten hat (BGH GRUR 2018, 292 – Produkte zur Wunderversorgung; BGH GRUR 2014, 595 – Vertragsstrafenklausel). Er ist daher grundsätzlich auch verpflichtet, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf Dritte einzuwirken, soweit dies zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands erforderlich ist (BGH GRUR 2017, 823 – Luftentfeuchter; BGH GRUR 2017, 208 30 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH GRUR 2015, 258 – CT-Paradies).

Ausgehend hiervon ist der I. Zivilsenat des BGH in der Entscheidung „Produkte für Wundversorgung“ (GRUR 2018, 292) jüngst zu der Ansicht gelangt, dass ein Schuldner die von ihm vertriebenen Waren aufgrund der gegen ihn ergangenen einstweiligen Verfügung zwar nicht bei seinen Abnehmern zurückzurufen hat, er diese aber (als Minus) auffordern muss, die erhaltenen Waren im Hinblick auf die einstweilige Verfügung vorläufig nicht weiterzuvertreiben.

Entscheidungsgründe

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss des Landgerichts hat teilweise Erfolg, wobei sich der Senat jedoch bzgl. der hier erörterten Streitfrage der Ansicht der Gläubigerin nicht angeschlossen hat. Eine Verpflichtung der Schuldnerinnen, auf ihre Abnehmer in der von der Gläubigerin begehrten Weise einzuwirken, kann dem streitgegenständlichen Unterlassungstitel vor allem aus den nachfolgenden Gründen nicht entnommen werden.

Im Erkenntnisverfahren ist weder die Frage, ob die Schuldnerinnen ihre Abnehmer auffordern müssen, die vor Erlass der einstweiligen Verfügung ausgelieferten Exemplare der angegriffenen Ausführungsform nicht weiter zu vertreiben, noch die Frage, ob gegebenenfalls ein Angebot zur Rücknahme der Produkte zu erfolgen hat, thematisiert worden.

Die ihnen untersagten Benutzungshandlungen haben die Schuldnerinnen nach Vollziehung des landgerichtlichen Urteils unterlassen. Ihre zuvor getätigten Benutzungshandlungen waren mit dem jeweiligen Angebot und/oder der jeweiligen (Aus)Lieferung der angegriffenen Ausführungsform an den jeweiligen Abnehmer beendet. Der Weitervertrieb ist den Schuldnerinnen nicht zuzurechnen; die Abnehmer sind insbesondere nicht ihre Verrichtungsgehilfen i. S. d. § 831 BGB.

Bei den Abnehmern handelt es sich um rechtlich selbständige Unternehmen, die mit den Schuldnerinnen in keiner Weise derart tatsächlich und/oder rechtlich verbunden sind, dass ihr Handeln wie ein Handeln der Schuldnerinnen anzusehen wäre. Die Schuldnerinnen haben ihnen auch keine Tätigkeit übertragen. Schlichte kaufvertragliche Verpflichtungen genügen hierfür nicht. Allein aufgrund kaufrechtlicher Verträge werden die Abnehmer nicht in die Vertriebsorganisation der Schuldnerinnen eingegliedert oder in die Stellung eines beauftragten Vertriebspartners oder einer Einzelhandelsverkaufsstelle erhoben. Die Abnehmer bleiben eigenständig und unterliegen keinerlei Weisungen. Sie entscheiden insbesondere selbständig, ob und wie sie die angegriffene Ausführungsform in ihren jeweiligen Märkten weitervertreiben. Bei den Abnehmern handelt es sich um große Drogerie- bzw. Handelsketten, die eine Vielzahl verschiedener Produkte an Endkunden vertreiben und zudem die angegriffene Ausführungsform unter ihrer jeweiligen Eigenmarke veräußern.

Angesichts dessen ist vorliegend auch nicht von einer Dauerverletzungshandlung auszugehen, die infolge schlichten Unterlassens aufrecht erhalten bleibt. Auch wenn die rechtswidrigen Benutzungshandlungen der Schuldnerinnen kausal für den Weitervertrieb durch die Abnehmer sind, denn ohne entsprechende Belieferungen wären die Abnehmer nicht in der Lage, die angegriffene Ausführungsform unter ihrer jeweiligen Eigenmarkung zu vertreiben, und die Schuldnerinnen damit die Gefahr einer weiteren Rechtsverletzung erhöht haben, so ist diese Kausalität nicht gleichbedeutend mit der Fortsetzung der durch die Schuldnerinnen hervorgerufenen eigenen Rechtsverletzung. Diese Rechtsverletzung wird vielmehr durch das Handeln der eigenständigen Abnehmer unterbrochen; die eigenen Verletzungshandlungen der Schuldnerinnen dauern nicht mehr fort. Die sich anschließende rechtswidrige Benutzung des Verfügungspatents liegt allein im Verantwortungsbereich der von ihnen rechtlich und tatsächlich unabhängigen Abnehmern.

Für den Fall der Patentverletzung sieht das PatG nicht nur den Unterlassungsanspruch gem. § 139 Abs. 1 PatG, sondern daneben und unabhängig voneinander einen Anspruch auf Rückruf gem. § 140a Abs. 3 PatG vor. Dieser trifft exakt die hier vorliegende Konstellation, die durch die Fortwirkung einer bereits begangenen Patentverletzung und das Erfordernis der Folgenbeseitigung gekennzeichnet ist. § 140a Abs. 3 PatG dient dem Zweck, patentverletzende Ware, die das Unternehmen des Verletzers bereits verlassen hat und sich in der nachgeordneten Vertriebskette befindet, zurückzuholen, damit eine weitere Schutzrechtsverletzung durch den Erwerber verhindert wird. Als Rückruf geschuldet ist eine Handlung des Verletzers, nämlich die ernsthafte und unter Hinweis auf die Rechtsverletzung nachdrückliche Aufforderung an die gewerblichen Abnehmer, die patentverletzenden Erzeugnisse entweder nicht weiter zu vertreiben oder – sofern der Störungszustand dadurch nicht hinreichend beseitigt wird – das Erzeugnis freiwillig zurückzugeben.

Dass der Unterlassungsanspruch – der in die Zukunft gerichtet ist und dessen Beachtung vom Ansatz her nicht mehr als ein Unterlassen und zunächst einmal kein Handeln fordert – dieselben Rechtsfolgen zeitigt wie der spezialgesetzlich normierte Rückrufanspruch, vermag der Senat nicht zu erkennen.

Zunächst würde eine Erstreckung des Unterlassungsgebots auf Handlungen, die als Rückruf geschuldet sind, zu einer Vermischung der beiden Anspruchsgrundlagen führen und insbesondere außer Acht lassen, dass ein Rückruf nach § 140 Abs. 4 PatG auf Tatbestandsebene unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit steht, während im Rahmen des § 139 Abs. 1 PatG ein dahingehender Einwand eines Verletzers unbeachtlich ist. Darüber hinaus unterliegen das Unterlassungsgebot und der Rückruf in der Zwangsvollstreckung unterschiedlichen Regelungen. Der Gesetzgeber hat mithin für die nebeneinanderstehenden Ansprüche voneinander abweichende Tatbestandsvoraussetzungen und unterschiedliche Vollstreckungswege vorgesehen. Es ist ferner – auch unter Beachtung der grundsätzlichen Möglichkeit einer Anspruchskonkurrenz – nicht ersichtlich, welcher Anwendungsbereich für § 140a Abs. 3 PatG überhaupt verbleibt, wenn bereits aus § 139 Abs. 1 PatG eine Pflicht zum Rückruf folgt.

Es steht einem Verletzten frei, welche Rechtsfolgen er aus einer Verletzung eines Patents herleiten möchte. Entscheidet er sich dafür, keinen Anspruch auf Rückruf gem. § 140a Abs. 3 PatG geltend zu machen, ist kein sachlicher Grund und/oder rechtliche Notwendigkeit zu erkennen, „über den Umweg“ des § 139 Abs. 1 PatG gleichwohl doch noch einen Anspruch auf Rückruf zuzuerkennen und diesen in den Unterlassungstitel hineinzulesen.

Der Anspruch gem. § 140a Abs. 3 PatG kann grundsätzlich nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchgesetzt werden. Im Eilverfahren soll grundsätzlich lediglich eine Sicherung von (Leistungs-)Ansprüchen erfolgen. Eine sofortige Befriedigung des Gläubigers bzw. eine vollständige Erfüllung des Verfügungsanspruchs und damit eine Vorwegnahme der Hauptsache soll nur Ausnahmefällen vorbehalten bleiben, nämlich dann, wenn der Gläubiger auf die Leistungsverfügung bzw. sofortige Erfüllung dringend angewiesen ist, die dem Gläubiger ansonsten drohenden Nachteile außer Verhältnis zu den dem Schuldner drohenden Schäden stehen und nur so effektiver Rechtsschutz gewährt werden kann.

Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, scheidet die Durchsetzung eines Rückrufanspruchs wegen Patentverletzung im Wege der einstweiligen Verfügung aus, denn die geschuldete Handlung, die ernsthafte und nachdrückliche Aufforderung nicht weiter zu vertreiben oder zur Rückgabe, stellt keine nur vorläufige Sicherung dar, sondern die Erfüllung des Rückrufanspruchs. Mehr als diese Handlung ist nicht geschuldet, insbesondere kein Erfolg. Ein nur vorläufiger Rückruf ist nicht möglich. Schutzlos ist der Verletzte nicht, da er im Verfügungsverfahren unter den Voraussetzungen des § 140b Abs. 7 PatG Auskunft über Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer verlangen und diese direkt in Anspruch nehmen kann.

Vorliegend kommt hinzu, dass der Gläubigerin jedenfalls mehrere (bedeutsame) Abnehmer namentlich bereits bekannt waren. Diese hat sie indes nicht wegen Patentverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen, sondern gegen diese „nur“ wegen Markenrechtsverstößen auf der Verpackung der angegriffenenen Ausführungsform Unterlassungsverfügungen erwirkt.

Eine Aufforderung zum vorläufigen Vertriebsstopp kann nicht als Minus bzw. bloße Sicherstellung des Rückrufanspruchs angesehen werden. Sie ist vielmehr Bestandteil der geschuldeten Handlung des Rückrufverpflichteten. Auch diese Aufforderung dient dem Zweck des § 140a Abs. 3 PatG, die bereits eingetretene Störung zu beseitigen und zu vermeiden, dass der Erwerber in der nachgeordneten Vertriebskette eine weitere Schutzrechtsverletzung begeht. Einen Erfolg der Aufforderung oder die tatsächliche Rückgabe der patentverletzenden Produkte schuldet der Verletzer nicht. Die Leistungshandlung, die ernsthafte und nachdrückliche Aufforderung zur Rückgabe, hängt nicht davon ab, dass der Erwerber noch im Besitz der angegriffenen Ausführungsform ist und eine tatsächliche Rückgabe erfolgen wird.

Aber auch dann, wenn als Rückruf lediglich die ernsthafte und nachdrückliche Aufforderung zur Rückgabe der Ware anzusehen wäre, so wäre zu beachten , dass die begehrte Aufforderung zum vorläufigen Vertriebsstopp vorliegend jedenfalls faktisch wie ein Rückruf wirkt.

Da der Senat mit diesem Beschluss teilweise von der Rechtsansicht des I. Zivilsenats des BGH in der Entscheidung „Produkte für Wundversorgung“ abweicht, ist die Rechtsbeschwerde zugelassen worden.

Konsequenz

In der Regel umfasst das Unterlassungsgebot gemäß § 139 Abs. 1 PatG nicht die Pflicht des Schuldners, rechtlich und tatsächlich selbständige Abnehmer aufzufordern, den Vertrieb der vor Erlass der einstweiligen Verfügung an diese ausgelieferten angegriffenen Ausführungsformen vorrübergehend einzustellen und diesen anzubieten, die patentverletzenden Produkte zurückzunehmen. Im dem Unterlassen derartiger Aufforderungen ist folglich regelmäßige keine Zuwiderhandlung gegen einen Unterlassungstitel zu sehen.

Vorheriger ArtikelKlausur Hagen 1 vom 14.05.2018
Nächster ArtikelErgebnisse der Hauptprüfung 2018
Ulrike Voß
Frau Ulrike Voß ist seit 2014 Vorsitzende Richterin eines Patentsenats beim OLG Düsseldorf. Zuvor war sie fünf Jahre Vorsitzende Richterin einer der Patentkammern des Landgerichts Düsseldorf. Sie ist Mitherausgeberin des im Beck-Verlages erschienen Werkes "Cepl/Voß, Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz" sowie Autorin im Beck-Online Kommentar / Patentrecht.
TEILEN

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here