Offenbarung als Rechtsfrage? | BPatG Bioreaktor

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aus: DE 10 2005 012515 (A1)

Der 4. Senat des BPatG hatte sich in einem Nichtigkeitsverfahren im Rahmen des Aspekts einer unzulässigen Erweiterung des geänderten Patentanspruchs mit der in nationaler Rspr. weitgehend ungeklärten Frage zu beschäftigen, ob die Anforderungen an eine ausreichende Offenbarung von der patentrechtlichen Bedeutung des ursprünglich nicht individualisiert und konkretisiert offenbarten Merkmals abhängen und welche Anforderungen zu stellen sind. Der Senat stellte fest:

Die Beurteilung des Offenbarungsgehalts stellt eine Rechts- und keine Tatsachenfrage dar und unterliegt deshalb einer rechtlich normativen Bewertung, so dass die Bedeutung des technischen Merkmals für die Erfindung in die Bewertung des Offenbarungsgehalts einzubeziehen ist. Für ein Merkmal, das im Hinblick auf die beanspruchte technische Lehre beliebig ist oder hierzu keinen wesentlichen Beitrag leistet, muss deshalb nicht zwangsläufig derselbe Maßstab gefordert werden wie für ein Merkmal, welches erfindungswesentlich ist oder gar eine Auswahlerfindung begründet.

Zum Urteil

BPatG/Urt./11.10.2016/4 Ni 7/15, (veröff. in Mitt. 2017, 176)

Relevante Rechtsnormen

§§ 21 Abs. 1 Nr. 4 ; 22 Abs. 1 PatG

Sachverhalt

Gegenstand des angegriffenen Patents war aufgabengemäß eine einfache und kostengünstige Beleuchtungseinrichtung für einen Bioreaktor zur Beleuchtung phototropher Zellkulturen. Diese Einrichtung sollte eine freie Einstellung oder Auswahl von spektralen Bereichen für die individuelle Beleuchtung der unterschiedlichen Zellkulturen ermöglichen und mindestens zwei Lichtquellen unterschiedlicher Spektralbereiche umfassen. Die Lichtquellen sollten hierbei jeweils auf einer, eine Matrix bildende Anzahl von Beleuchtungselementen angeordnet sein und unterschiedliche Spektralbereiche aufweisen. Der Senat sah – wie auch der Patentinhaber selbst – den Kern der erfindungsgemäßen Lehre in der räumlich körperlichen Ausgestaltung der Beleuchtungseinrichtung, bei welcher der Beleuchtungszweck und damit auch die Farbauswahl in das Belieben des Fachmanns gestellt werden. Frage war im Rahmen des klägerischen Angriffs auf das Patent und dessen zulässiger Beschränkung, ob eine unzulässige Erweiterung des Inhalts der Anmeldung vorlag, da insoweit anspruchsgemäß eine die Farben „rot und grün“ abbildende Auswahl von Spektralbereichen beansprucht war, während in den Anmeldeunterlagen eine derartige Auswahl nicht konkretisiert war. Dort waren lediglich allgemein die mögliche Kombination der Spektralbereiche von zwei, drei oder vier Lichtquellen auf einem Beleuchtungselement sowie die Spektralbereiche ultraviolett (UV), blau, grün und rot genannt. Der 4. Senat hielt die nicht individualisierte Konkretisierung dennoch für zulässig.

Bisherige Rechtsprechung

In der Rspr. wird seit den BGH Entscheidungen „Olanzapin“ (BGHZ 179, 168) und „Escitalopram“ (GRUR 2010, 123) zur Neuheit und damit auch für die Frage der Offenbarung im Rahmen der Prioritätsfrage und der unzulässigen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung, für welche hinsichtliche der Frage einer identischen Offenbarung die Prinzipien der Neuheitsprüfung gelten sollen BGHZ 200, 63 Kommunikationskanal), auf Anforderungen abgestellt, welche in Anlehnung an die Rspr. der Beschwerdekammern des EPA eine „unmittelbare und eindeutige“ sowie eine „individualisierte“ Offenbarung abstellt und sich damit von einer früheren nationalen Rspr. abgekehrt hat. Während die frühere Rspr. für die Frage der Offenbarung sehr stark einer tatsächlichen, der Denklogik unterworfenen Sicht (siehe BGH GRUR 1990, 510 – Crackkatalysator; GRUR 2000, 591 – Inkrustierungsinhibitoren; Mitt. 2002, 16 – Filtereinheit) des Fachmanns unterworfen war, was insbesondere zur Frage einer möglichen Auswahlerfindung zu stark von der EPA-Rspr. differierenden Entscheidungen führte, hat der BGH in neuere Rspr. vielfach eine bewertende Betrachtung des Offenbarungsgehalts gefordert (BGHZ 200, 63 Kommunikationskanal).

Entscheidungsgründe

Der Senat sieht auch die technische Lehre der konkret beanspruchten Spektralbereiche „rot und grün“ als ursprünglich offenbart an, auch wenn ursprünglich nur allgemein die mögliche Kombination der Spektralbereiche von zwei, drei oder vier Lichtquellen auf einem Beleuchtungselement sowie die Spektralbereiche ultraviolett (UV), blau, grün und rot genannt sind, nicht jedoch die konkrete Auswahl „rot und grün“. Denn dies stellt dies im Hinblick auf die Beliebigkeit der Farbauswahl eine ausreichende ursprüngliche Offenbarung dieser im Anspruch konkretisierten Lehre dar. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Allgemeine eine spezielle Lehre oder eine getroffene Auswahl nicht offenbart und insbesondere das Erfordernis einer ohne Rückgriff auf das Fachwissen individualisierten Offenbarung (BGH GRUR 2010, 123 – Escitalopram; vgl. auch BGHZ 179, 168 – Olanzapin; BGHZ 198, 205 – Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren) nicht erfüllt, die zudem noch dem Erfordernis der Eindeutigkeit und Unmittelbarkeit untersteht (st. Rspr. BGHZ 200, 63 – Kommunikationskanal; BGHZ 148, 383, 389 – Luftverteiler; BGHZ 179, 168 – Olanzapin); andererseits darf nicht vernachlässigt werden, dass die Frage des Offenbarungsgehalts sich als Rechts- und nicht als Tatsachenfrage stellt und der – im Übrigen einheitliche – Offenbarungsbegriff (BGHZ 80, 323 – Etikettiermaschine) deshalb einer rechtlich normativen Bewertung unterliegt, mithin die Bedeutung des technischen Merkmals für die Erfindung in die Bewertung des Offenbarungsgehalts (hierzu und zum wertenden Charakter des Offenbarungsgehalts BGHZ 200, 63 – Kommunikationskanal; BGH Urt. v. 10.4.2014, X ZR 74/11) einzubeziehen ist. Für ein Merkmal, das im Hinblick auf die beanspruchte technische Lehre beliebig ist oder hierzu keinen wesentlichen Beitrag leistet, muss deshalb nicht zwangsläufig der Maßstab gefordert werden, wie für ein Merkmal, welches erfindungswesentlich ist oder gar eine Auswahlerfindung begründet.

So hat auch der BGH in der Entscheidung „Teilreflektierende Folie“ (GRUR 2016, 50) zur Prioritätsfrage und fehlenden ursprünglichen Offenbarung ausgeführt, dass die Priorität einer Voranmeldung, die eine Bereichsangabe enthält, jedenfalls dann wirksam in Anspruch genommen werden kann, wenn der in der Nachanmeldung beanspruchte, innerhalb dieses Bereichs liegende einzelne Wert oder Teilbereich in der Voranmeldung als mögliche Ausführungsform der Erfindung offenbart ist. Dies hat der BGH für die beanspruchte Fläche einer Folie von „mindestens 3m mal 4m“ aufgrund einer bildlichen Darstellung einer großen, eine Person und ein Auto darstellenden Folie angenommen, wobei die konkrete Größe der Folie erkennbar für die erfindungsgemäße technische Lehre der Verwendung großer teilreflektierender Folien keine erfindungswesentliche Auswahl begründete, sondern eine nur beispielhafte Bedeutung für eine „große“ und insoweit beliebige Bemaßung darstellte.

Dies entspricht im Übrigen im Ergebnis auch der st. Rspr. der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, welche es im Rahmen der Neuheitsprüfung bei einer Auswahl aus einem breiten Bereich oder aus verschiedenen Listen Neuheit nur dann bejahen, wenn die getroffene Auswahl sich als eine gezielte oder willkürliche Auswahl darstellt und für die getroffene Auswahl ein technischer Effekt nachgewiesen werden kann, die Auswahl zu einer neuen Erfindung führt (vgl Rspr. der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts 7. Aufl. 2013 S. 152 ff.). Diese Rspr. setzt deshalb ebenfalls voraus, dass die Bewertung der Offenbarung – dort des Standes der Technik für die Beurteilung der Neuheit – normativ zu erfolgen hat und die Anforderungen an die Offenbarung danach in Beziehung zur rechtlichen Bedeutung des beanspruchten, aber nicht so offenbarten Merkmals bzw. der getroffenen Auswahl stehen.

Konsequenz

Die vorliegende Entscheidung wagt einen Schritt in das nach gegenwärtiger Rspr des BGH offene Feld des für die Beurteilung der identischen Offenbarung maßgeblichen rechtlichen Ausgangspunktes und der Frage nach einem tatsächlichen oder rechtlichen Ansatz, der einerseits mit den Anforderungen einer individualisierten Offenbarung nach BGH „Olanzapin“ und anderseits mit einer bewertenden, normativen Betrachtung des Offenbarungsgehalts in Einklang steht. Der Senat versucht in diesem Sinne auch die umstrittene Entscheidung des X. Senats „Teilreflektierende Folie“ mit dem Ansatz eines normativen Offenbarungsbegriffs zu deuten. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Ansatz bestätigt wird und weiterer Justierung bedarf, so ob und inwieweit eine derartige normative Bewertung des ursprünglichen Offenbarungsgehalts nur mit der „Brille“ des im Streitpatent gesetzten Fokus zu betrachten ist oder nicht vorrangig oder auch mit derjenigen der ursprünglichen Offenbarung, insbesondere wenn sich der Fokus der technischen Lehre verschoben hat.

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