Autor des heutigen Beitrags ist Prof. Dr. Christian Alexander von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Leitsätze:
- Das Aufrufen eines Verkaufsportals im Internet ist eine geschäftliche Entscheidung im Sinne von § 5a Abs. 3 UWG.
- Räumliche oder zeitliche Beschränkungen des Kommunikationsmittels im Sinne von § 5a Abs. 5 Nr. 1 UWG sind nicht erst dann anzunehmen, wenn es objektiv unmöglich ist, die fraglichen Angaben schon bei der Aufforderung zum Kauf zu machen.
- Für die Frage, welche Informationen der Unternehmer im Rahmen einer Aufforderung zum Kauf erteilen muss, ist eine Prüfung des Einzelfalls erforderlich, bei der es einerseits auf die vom Unternehmer gewählte Gestaltung des Werbemittels und den Umfang der insgesamt erforderlichen Angaben ankommt, und andererseits die Entscheidung des Gesetzgebers zu beachten ist, bestimmte Angaben als wesentlich anzusehen.
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Entscheidung
BGH, Urteil vom 14.09.2017 – I ZR 231/14 – MeinPaket.de II
Relevante Rechtsnormen
UWG § 5a Abs. 3 und 5
Richtlinie 2005/29/EG Art. 7 und 2 Buchst. k)
Sachverhalt
In dem zugrunde liegenden Streitfall ging es um die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit einer ganzseitigen Anzeigenwerbung für das von der Beklagten betriebene Online-Verkaufsportal „MeinPaket.de“. Diese Werbung war in der „Bild am Sonntag“ erschienen.
Auf dem Portal der Beklagten können gewerbliche Verkäufer Waren anbieten. Die Beklagte selbst schließt mit den Käufern keine Verträge über diese Produkte ab.
In der beanstandeten Anzeige wurden verschiedene Waren (z. B. eine Küchenmaschine und ein Kopfhörer) unter Angabe des Preises und eines Bestellcodes beworben. Diese Waren konnten über die Verkaufsplattform der Beklagten von den jeweiligen Verkäufern erworben werden. Besuchte ein durch die Werbung angesprochener Internetnutzer die Verkaufsplattform und gab den in der Anzeige genannten Code ein, öffnete sich die jeweilige Produktseite, auf der angezeigt wurde, wer der gewerbliche Verkäufer des jeweiligen Artikels war. Unter der Rubrik „Anbieterinformationen“ erhielt der Nutzer Angaben zur Firma und zur Anschrift des Vertragspartners.
Der klagende Verband war der Ansicht, die Beklagte habe mit dieser Werbung gegen die Verpflichtung verstoßen, die Identität und Anschrift der ihre Verkaufsplattform nutzenden Anbieter der Waren anzugeben.
Bisherige Rechtsprechung
Der Streitfall betrifft die Transparenzanforderungen des § 5a Abs. 2 und 3 Nr. 2 UWG. Da diese Vorschriften der Umsetzung von Art. 7 und 2 Buchst. k) Richtlinie 2005/29/EG dienen und deswegen richtlinienkonform auszulegen sind, legte der BGH mit Beschluss vom 28.01.2016 dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor (BGH GRUR 2016, 399 = WRP 2016, 459 – MeinPaket.de I):
Erstens wollte der BGH wissen, ob die Angaben zu Anschrift und Identität des Gewerbetreibenden schon in der Anzeigenwerbung für konkrete Produkte in einem Printmedium gemacht werden müssen, auch wenn die Verbraucher die beworbenen Produkte ausschließlich über eine in der Anzeige angegebene Website des werbenden Unternehmens erwerben und die nach Art. 7 Abs. 4 Richtlinie 2005/29/EG erforderlichen Informationen auf einfache Weise auf dieser oder über diese Website erhalten können.
Zweitens fragte der BGH, ob es für die rechtliche Beurteilung darauf ankommt, ob das in dem Printmedium werbende Unternehmen für den Verkauf eigener Produkte wirbt und für die erforderlichen Angaben direkt auf eine eigene Website verweist, oder ob sich die Werbung auf Produkte bezieht, die von anderen Unternehmen auf einer Internetplattform des Werbenden verkauft werden, und die Verbraucher die nach der Richtlinie notwendigen Angaben erst in einem oder mehreren weiteren Schritten (Klicks) über eine Verlinkung mit den Internetseiten dieser anderen Unternehmen erhalten können, die auf der in der Werbung allein angegebenen Website des Plattformbetreibers bereitgestellt wird.
Mit Urteil vom 30.03.2017 antwortete der EuGH (ECLI:EU:C:2017:243 = GRUR 2017, 535 = WRP 2017, 674 – Verband Sozialer Wettbewerb), dass eine Werbeanzeige wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die unter den Begriff „Aufforderung zum Kauf“ im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG fällt, die in der Richtlinie vorgesehene Informationspflicht erfüllen kann. Es sei Sache des vorlegenden Gerichts in jedem Einzelfall zu prüfen, ob es aufgrund räumlicher Beschränkungen in dem Werbetext gerechtfertigt sei, Angaben zum Anbieter nur auf der Online-Verkaufsplattform zur Verfügung zu stellen und gegebenenfalls, ob die nach Art. 7 Abs. 4 Buchst. b) Richtlinie 2005/29/EG erforderlichen Angaben zu der Online-Verkaufsplattform einfach und schnell mitgeteilt worden seien.
Entscheidungsgründe
Der BGH hat nunmehr in der Sache entschieden. Im Kern sind dabei drei Aussagen hervorzuheben, die für die Auslegung von § 5a Abs. 2 und 3 UWG von zentraler Bedeutung sind:
- Geschäftliche Entscheidung (§ 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG)
Die in § 5a Abs. 3 UWG aufgelisteten Informationspflichten werden im Falle einer sog. „Aufforderung zum Kauf“ ausgelöst. Dieser Begriff entstammt der Richtlinie 2005/29/EG. Er wurde aber nicht ausdrücklich in das deutsche Recht übernommen. Vielmehr findet sich in § 5a Abs. 3 UWG eine Umschreibung, die richtlinienkonform auszulegen ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine „Aufforderung zum Kauf“ gegeben, wenn der Verbraucher hinreichend über das beworbene Produkt und dessen Preis informiert ist, um eine geschäftliche Entscheidung treffen zu können, ohne dass die kommerzielle Kommunikation auch eine tatsächliche Möglichkeit bieten muss, das Produkt zu kaufen, oder dass sie im Zusammenhang mit einer solchen Möglichkeit steht (EuGH ECLI:EU:C:2011:299 Rn. 33 = GRUR 2011, 930 = WRP 2012, 189 – Ving Sverige).
Der BGH geht davon aus, dass die angegriffene Printwerbung die Voraussetzungen einer solchen „Aufforderung zum Kauf“ erfüllt. Insbesondere ist die Entscheidung des Verbrauchers, aufgrund der in der Werbung enthaltenen Angaben das Online-Verkaufsportal aufzusuchen, eine geschäftliche Entscheidung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG: Die in der Werbung gegebenen Informationen können und sollen – so der BGH – die Verbraucher dazu veranlassen, zunächst das Verkaufsportal der Beklagten im Internet aufzurufen und dann dort die beworbenen Produkte bei den jeweiligen Anbietern zu bestellen. Das Aufrufen eines Verkaufsportals im Internet stehe dem Besuch eines stationären Geschäfts im Sinne der EuGH-Entscheidung „Trento Sviluppo“ (EuGH ECLI:EU:C:2013:859 Rn. 36 = GRUR 2014, 196 = WRP 2014, 161) gleich und sei als geschäftliche Entscheidung anzusehen, die für die Anwendung von § 5a Abs. 3 UWG ausreiche. Wie der Besuch eines stationären Geschäfts hänge das Aufsuchen eines Internetportals unmittelbar mit dem Erwerb der dort jeweils angebotenen Produkte zusammen.
- Identität und Anschrift der Anbieter als wesentliche Information bei „Aufforderung zum Kauf“ (§ 5a Abs. 3 Nr. 2 UWG)
Der BGH geht weiterhin davon aus, dass Angaben zur Identität und Anschrift von Anbietern bereits in der angegriffenen Printwerbung hätten erfolgen müssen. Es genüge nicht, dass der Verbraucher, der das Verkaufsportal der Beklagten aufrufe, dort die entsprechenden Informationen in einfacher Weise finden könne. Eine wesentliche Information erreiche den Verbraucher grundsätzlich nur dann rechtzeitig, wenn er sie erhalte, bevor er aufgrund der „Aufforderung zum Kauf“ eine geschäftliche Entscheidung treffen könne. Diese geschäftliche Entscheidung sei bei der Werbeanzeige der Beklagten das Aufsuchen ihres Verkaufsportals im Internet, um ein in der Anzeige beworbenes Produkt zu erwerben oder sich damit näher zu befassen. Die Informationen zu Identität und Anschrift der Anbieter der beworbenen Produkte müssten grundsätzlich bereits in dieser Werbeanzeige erfolgen.
- Räumliche Beschränkungen des Kommunikationsmittels (§ 5a Abs. 5 UWG)
Gemäß § 5a Abs. 5 UWG sind bei der Beurteilung, ob Informationen vorenthalten wurden, zu berücksichtigen: (1.) räumliche oder zeitliche Beschränkungen durch das für die geschäftliche Handlung gewählte Kommunikationsmittel sowie (2.) alle Maßnahmen des Unternehmers, um dem Verbraucher die Informationen auf andere Weise als durch das Kommunikationsmittel nach Nummer 1 zur Verfügung zu stellen.
Der BGH prüft, ob im zugrunde liegenden Fall räumliche Beschränkungen bestehen. Dabei betont der BGH, dass räumliche Beschränkungen nicht erst dann anzunehmen sind, wenn es objektiv unmöglich ist, die fraglichen Angaben schon bei der „Aufforderung zum Kauf“ vorzunehmen. Vielmehr sei die Frage, inwieweit der Unternehmer im Rahmen der „Aufforderung zum Kauf“ informieren müsse, anhand der Umstände dieser Aufforderung, der Beschaffenheit und der Merkmale des Produkts sowie des verwendeten Kommunikationsmediums zu beurteilen. Dies erfordere eine Prüfung des Einzelfalls. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Regelung unverhältnismäßigen Beschränkungen der grundrechtlich gewährleisteten Werbefreiheit der Unternehmen entgegenwirken solle. Dafür komme es insbesondere auf die vom Unternehmer gewählte Gestaltung des Werbemittels und den Umfang der insgesamt erforderlichen Angaben an.
Im konkreten Fall verneint der BGH jedoch solche räumlichen Beschränkungen: Die von der Beklagten gewählte Größe der Zeitungsanzeige erlaube es ohne Weiteres, Anschrift und Identität der Anbieter für die lediglich fünf konkret beworbenen Produkte anzugeben. Diese zusätzlichen Angaben beanspruchten keinen nennenswerten Raum in der Anzeige. Der Beklagte werde dadurch auch unter Berücksichtigung der weiteren Informationspflichten, die bei einer Aufforderung zum Kauf zu beachten seien, keine unverhältnismäßige Einschränkung ihrer Werbefreiheit auferlegt.
Konsequenz
Das Vorenthalten wesentlicher Informationen gemäß § 5a Abs. 2 bis 6 UWG wirft nach wie vor zahlreiche Fragen auf. Für die Praxis ist diese BGH-Entscheidung von großer Bedeutung, weil sie wichtige „Leitlinien“ enthält:
- Der Begriff der geschäftlichen Entscheidung gewinnt durch das Urteil weitere Konturen. Als geschäftliche Entscheidung ist auch die Entscheidung des Verbrauchers anzusehen, aufgrund einer Printwerbung ein Online-Verkaufsportal aufzusuchen.
- Die Verpflichtung zu Informationen über die Identität und Anschrift des Unternehmers beschränkt sich nicht auf den Werbenden selbst, sondern erstreckt sich auch auf Drittunternehmen, die über ein Verkaufsportal Waren oder Dienstleistungen anbieten und vertreiben.
- In jedem Fall ist zu prüfen, ob das vom Unternehmer gewählte Kommunikationsmittel räumliche (oder auch zeitliche) Beschränkungen aufweist. Diese sind nicht erst dann anzunehmen, wenn es objektiv unmöglich ist, die fraglichen Angaben schon bei der Aufforderung zum Kauf zu machen. Vielmehr ist eine Einzelfallbetrachtung geboten, die auch berücksichtigen muss, welche weiteren Pflichtangaben vom Unternehmer vorzunehmen sind.