Auslegung und Patenthistorie | BPatG Polsterumformungsmaschine

0
1536
Aufrufe
© Foteros pixabay.com

Der 4. Senat des BPatG hatte sich im Rahmen der Auslegung des mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Streitpatents mit der Frage zu befassen, wie der maßgebliche Fachmann ein Merkmal des Anspruchs unter Berücksichtigung der Gesamtoffenbarung des Streitpatents auslegt, wenn das danach an sich gebotene Verständnis des Anspruchs in Konflikt mit einem Ausführungsbeispiel steht. Bekanntlich hat der Patentanspruch Vorrang gegenüber der Beschreibung, wenn diese und die Zeichnungen auch nach Art. 69 EPÜ zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen sind, da sie der Erläuterung der Ansprüche dienen. Was allerdings in den Ansprüchen keinen Niederschlag gefunden hat, kann nicht unter den Schutz des Patents fallen (st. Rspr., vgl BGHZ 189, 330 – Okklusionsvorrichtung m.w.H.).

Entscheidung

Urt. v. 27.06.2017, 4 Ni 7/17 (EP) Polsterumformungsmaschine (unveröff.)

Relevante Rechtsnormen

Art. 69 EPÜ, § 14 PatG; Art. 123 EPÜ

Sachverhalt

Konkret stellte sich die Frage in Bezug auf das als erfindungsgegenständlich geschützte „bahnförmige Ausgangsmaterial (16) für eine Polsterumformungsmaschine“, welches eine Vielzahl von Reihen (22) geschwächter Bereiche (24) aufweist (z.B. Perforierungen), wie die weitere Anweisung (Merkmal M1.1.5) zu verstehen war, dass die seitlichen Kantenbereiche im Wesentlichen frei von geschwächten Bereichen (z.B. Perforierungen) sind. Insoweit stand diese Forderung eines kantenfreien Bereichs in ersichtlichem Widerspruch zu einem Ausführungsbeispiel (nach Fig. 9) des Streitpatents, welches lehrte, dass erfindungsgemäß Reihen mit Perforationsschlitzen bis an die Kante der Bahn reichen.

Zugleich stellte sich die in der Praxis häufige Frage einer zulässigen beschränkten Verteidigung des Streitpatents unter Neufassung des Patentanspruchs mittels eines Kategoriewechsels. Denn der hilfsweise verteidigte Anspruch 1 war nicht mehr auf ein Ausgangsprodukt, sondern auf ein bearbeitetes Zwischenprodukt gerichtet, wobei der geltenden Fassung des Streitpatents in Anspruch 9 ein Verfahren zur Herstellung eines abgetrennten fertigen Polsterprodukts umfasste.

Bisherige Rechtsprechung

Nach der st. Rspr. des BGH ist anerkannt, dass eine Auslegung des Patentanspruchs, die zur Folge hätte, dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst würden, nur dann in Betracht kommt, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten, die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausscheiden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht (BGH, GRUR 2015, 159 Rn. 26 – Zugriffsrechte). Werden in der Beschreibung mehrere Ausführungsbeispiele als erfindungsgemäß vorgestellt, sind die im Patentanspruch verwendeten Begriffe im Zweifel so zu verstehen, dass sämtliche Ausführungsbeispiele zu ihrer Ausfüllung herangezogen werden können (BGH GRUR 2015, 972 – Kreuzgestänge).

Ebenso gilt aber auch, dass jedenfalls wenn und soweit sich die Lehre des Patentanspruchs mit der Beschreibung und den Zeichnungen nicht in Einklang bringen lässt, und ein unauflösbarer Widerspruch verbleibt, diejenigen Bestandteile der Beschreibung, die im Patentanspruch keinen Niederschlag gefunden haben, nicht zur Bestimmung des Gegenstands des Patents herangezogen werden müssen (BGH Kreuzgestänge). In diesem Fall darf die „Anspruchsgeschichte” zur weiteren Klärung der Frage herangezogen werden (GRUR 2015, 875 – Rotorelemente, unter Hinweis auf BGHZ 189, 330, Rn. 25 – Okklusionsvorrichtung; BGHZ 194, 107, Rn. 28 – Polymerschaum I), ob mit dem Anspruch ein Gegenstand unter Schutz gestellt worden ist, der von dem in der Beschreibung offenbarten Gegenstand abweicht oder hinter diesem zurückbleibt (GRUR 2015, 875 – Rotorelemente). Zu prüfen ist, ob ein Vergleich mit der Veröffentlichung der Patentanmeldung zur Klärung des Umfangs einer bei der Erteilung des Patents oder im Einspruchsverfahren vorgenommenen Beschränkung des geschützten Gegenstands beitragen kann (BGHZ 194, 107, Rn. 28 – Polymerschaum I).

Entscheidungsgründe

Der Senat folgte dieser Rechtsprechung  und stellte fest, dass Anspruch 1 der ursprünglichen Anmeldung noch auf eine Lehre gerichtet war, die keine Einschränkung zum Kantenbereich enthielt und erst der ursprünglichen Anspruch 8 die dem Merkmal M1.1.5 entsprechende einschränkende Anweisung enthielt, was belegte, dass die in der Beschreibung nicht gestrichene Fig. 9 in völligem Einklang mit der ursprünglichen Offenbarung stand und nur bei der Erteilung des Patents missachtet worden war, dass die Beschreibung anzupassen gewesen wäre; eine Unterlassung, die nicht selten vorzufinden ist.

Hinsichtlich des Kategoriewechsels sah der Senat den Schutzbereich des Patents nach Art. 123 III EPÜ erweitert und zudem in dem auf ein bearbeitetes Zwischenprodukt – nämlich einen Polsterstreifen, aus  dem erst durch Abtrennung die fertigen Polsterprodukte entstehen – gerichteten Erfindungsgegenstand, eine andere technische Lehre, ein Aliud (zur Unzulässigkeit (BGHZ 66, 17 2] – Alkylendiamine I; BGHZ 110, 123, 125  – Spleißkammer). Insoweit konnte der Senat dahinstehen lassen, ob ein Kategoriewechsel von einem Herstellungsverfahren zu einem hergestellten Erzeugnis im Hinblick auf § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG zulässig ist, wenn man davon ausgeht, dass das Erzeugnis durch das Herstellungsverfahren genauso hergestellt ist (product by process im engeren Sinne) und so einschränkend gekennzeichnet wäre (hierzu BPatG Urt. v. 21. September 2010, Az. 3 Ni 12/09 (EU); bejahend Moufang/Schulte PatG, 10. Aufl., § 1 Rn. 180).

Der Senat formulierte folgende Leitsätze:

  1. Auch im Patent-Nichtigkeitsverfahren sind ansonsten nicht auflösbare Widersprüche bei der Auslegung der Patentansprüche im Zweifel dadurch zu vermeiden, dass die „Anspruchsgeschichte” des Streitpatents heranzuziehen ist, so wenn ein Ausführungsbeispiel nur deshalb mit der Auslegung der Patentansprüche nicht in Einklang zu bringen ist, weil dieses in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen auf einen noch weit gefassten Patentanspruch 1 zugeschnitten war, der im Verlauf des Erteilungsverfahrens derart beschränkt worden ist.
  2. Die Verteidigung des Streitpatents mit Patentansprüchen im Wege des Kategoriewechsels von einem Herstellungsverfahren zu einem hergestellten Erzeugnis ist auch im Hinblick auf § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG jedenfalls dann unzulässig, wenn das Erzeugnis sich im Vergleich zum Herstellungsverfahren nur als Zwischenprodukt erweist.

Konsequenz

Das Auslegungsergebnis folgt den in der Rechtsprechung des BGH entwickelten Grundsätzen zur Auslegung und zeigt auch die Bedeutung der Diskussion um eine Anpassung der Beschreibung auf (vgl. hierzu Engels/Busse PatG 8. Aufl. § 61 Rn. 58). Ebenso macht die Entscheidung deutlich, wie kritisch vermeintlich einschränkende Anspruchsänderungen zu hinterfragen sind (siehe hierzu auch Beitrag zum Urteil des BPatG v. 10.03.2016,  4 Ni 12/13 (EP) Bohrhilfe).

 

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here