Das LG Düsseldorf hat kürzlich ein Urteil zu ergänzenden Schutzzertifikaten (SPC) erlassen. In dem einstweiligen Verfügungsverfahren setzte sich die 4b. Kammer eingehend mit den Voraussetzungen des Art. 3 der SPC-VO (Verordnung (EG) Nr. 469/2009) sowie der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH auseinander.
Entscheidung
LG Düsseldorf, Urteil vom 01.10.2018, Az. 4b O 39/18 (u.a.)
Sachverhalt
Zunächst gelang es der Antragstellerin, Beschlussverfügungen gegen verschiedene Generikaunternehmen zu erwirken. Diese hatten versucht ein Kombinationsprodukt aus zwei Wirkstoffen (im Folgenden als A und B bezeichnet) auf den Markt zu bringen. Kurz zuvor war das erste ergänzende Schutzzertifikat (nachfolgend SPC I) der Antragstellerin auf den Mono-Wirkstoff A ausgelaufen. Die Antragstellerin verfügte jedoch noch über ein weiteres SPC bezüglich der Wirkstoffkombination A+B (nachfolgend SPC II), welches sie in diesem Verfahren geltend machte.
Das Grundpatent richtet sich in den Ansprüchen allgemein und spezifisch auf den Wirkstoff A. Weiter beansprucht das Grundpatent die Kombination einer Verbindung von Wirkstoff A mit einem Statin. In einem weiteren Anspruch wird eine ausgewählte Gruppe von Statinen genannt, unter anderem der Wirkstoff B.
Gegen das SPC II sind mehrere Nichtigkeitsklagen vor dem BPatG anhängig. Die Antragsgegnerinnen machten geltend, dass es an dem erforderlichen Verfügungsgrund fehle, weil das SPC II entgegen der Voraussetzungen von Art. 3 der SPC-VO erteilt worden sei und deshalb gem. Art. 15 Abs. 1a) der SPC-VO nichtig sei.
Entscheidungsgründe
Dieser Einschätzung folgte das LG Düsseldorf in Bezug auf Art. 3 c) der SPC-VO und lehnte das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ab. Dementsprechend wurden die erlassenen Beschlussverfügungen auf die Widersprüche der Generikaunternehmen aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer Verfügung zurückgewiesen. In ihrer Entscheidung setzte sich die Kammer ausführlich mit den Voraussetzungen von Art. 3 a) sowie Art. 3 c) der SPC-VO auseinander:
Art. 3 a) der SPC-VO
Die Kammer kam zu dem Ergebnis, dass das Erzeugnis A+B vom Grundpatent i.S.d. Art. 3 a) der SPC-VO geschützt ist.
Dies ist nach der Auffassung der Kammer der Fall, sofern sich die Patentansprüche notwendigerweise und spezifisch auf dieses Erzeugnis beziehen, auch wenn es in den Ansprüchen nicht ausdrücklich erwähnt ist. Aus Sicht des Fachmanns müsse nach dem Stand der Technik bei der Einreichung/am Prioritätstag des Grundpatents die Kombination der Wirkstoff im Licht der Beschreibung und der Zeichnungen des Patents notwendigerweise von der durch das Patent geschützten Erfindung erfasst sein und jeder der Wirkstoffe im Licht aller durch das Patent offengelegten Angaben spezifisch identifizierbar sein. Dazu verweist die Kammer insbesondere auf das jüngste Urteil des EuGH in SachenTeva/Gileadvom 25.07.2018 (C-121/17).
Ferner stellt das Landgericht klar, dass es der Entscheidung Actavis/Sanofi i.R.d. Art. 3 a) der SPC-VO keinen übergeordneten Prüfungsschritt entnimmt, wonach die Kombination auf ihre zentrale erfinderische Leistung („core inventive advance“) überprüft werden müsse. Dagegen spreche bereits der Umstand, dass die Erfindungshöhe die Patentfähigkeit betrifft, was ausschließlich nach nationalem Recht zu beurteilen sei (unter Verweis auf die Schlussanträge des Generalanwalts Watheletvom 25.04.2018 in Sachen Teva/Gilead).
Nach diesem Maßstab kommt das LG Düsseldorf im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des Art. 3 a) der SPC-VO erfüllt sind, nicht zuletzt dadurch, weil Wirkstoff B in einem Anspruch ausdrücklich genannt sei.
Art. 3 c) der SPC-VO
Allerdings fehlt es nach der Ansicht des LG Düsseldorf an der Voraussetzung des Art. 3 c) der SPC-VO. Das Landgericht geht zunächst auf den Sinn und Zweck von ergänzenden Schutzzertifikaten ein und stellt unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH (Actavis/Boehringer, Forsgren, Eli Lilly und Actavis/Sanofi) klar, dass damit die Dauer des Zulassungsverfahrens kompensiert werden soll, nicht jedoch dessen Aufwand.
Unter Bezugnahme auf die EuGH-Entscheidungen Actavis/Sanofiund Actavis/Boehringerführt das LG Düsseldorf sodann aus, dass es nicht zulässig sei, dem Inhaber auf der Grundlage desselben Patents, aber einer späteren Genehmigung für das Inverkehrbringen eines anderen Arzneimittels, das den genannten Wirkstoff zusammen mit einem anderen, als solchemdurch das Patent nicht geschützten Wirkstoff enthält, ein zweites SPC für die Wirkstoffzusammensetzung zu erteilen. Der EuGH fordere im Rahmen des Art. 3 c) der SPC-VO, dass das Erzeugnis der Erfindungskern sein soll.
Dafür ist nach Auffassung der Kammer nicht erforderlich, dass dem Wirkstoff bzw. der Zusammensetzung isoliert eine eigenständige Erfindungshöhe zukommt, weil dies – wie auch schon in Bezug auf Art. 3 a) der SPC-VO ausgeführt – in Konflikt mit dem nationalen Recht der Mitgliedsstaaten stehe. Vielmehr sei der Begriff „core inventive advance“ im Kontext der SPC-VO zu verstehen und somit autonom von einem rein patentrechtlichen Verständnis zu begreifen. Es handele sich um eine Wertung schutzzertifikatsrechtlicher Natur, welche als Korrektiv diene.
Insoweit stellt das LG Düsseldorf die folgenden Abgrenzungskriterien auf:
- Wirkungen, die der Fachmann nach seinem allgemeinen Fachwissen erwartet, weil sie regelmäßig eintreten, können schwerlich den alleinigen Erfindungsgegenstand des Grundpatents bilden. Dazu nennt das LG Düsseldorf beispielhaft eine „fix dose“ in einer Einzeltablette, bei der bekannt sei, dass sie die Compliance beim Patienten verbessere und Dosierungen vereinfache.
- Es könne jedoch zwischen additiven und synergistischen Effekten unterschieden werden. Dabei reiche eine rein additive Wirkung von zwei kombinierten Wirkstoffen auch schon nach der EuGH EntscheidungActavis/Sanofi nicht aus. Das bedeutet, dass die Zusammensetzung dieselben therapeutischen Effekte erzielt, wie eine getrennte Verabreichung beider Wirkstoffe. Synergistische Wirkungen können hingegen ausreichend sein.
- Darüber hinaus seien weitere Wirkungsweisen denkbar, die den Erfindungskern bilden können. Dies könnte etwa eine Wirkweise sein, die zur Reduktion von Nebenwirkungen führt oder eine sichere und leichtere Verabreichung ermöglicht. Sie muss sich jedoch von der Wirkweise der Mono-Wirkstoffe unterscheiden.
Das LG Düsseldorf setzt jedoch weiter voraus, dass
- sich die Wirkweise von der Wirkweise der Mono-Wirkstoffe unterscheidet, und
- bereits im Prioritätszeitpunkt verlässliche Anhaltspunkte im Grundpatent gegeben sein müssen, die belegen, dass die Wirkstoffzusammensetzung diese Form der Wirkung erzielt. Nach Auffassung der Kammer reicht es gerade nicht, wenn sich die Wirkungen erst im Laufe des Zulassungsverfahrens ergeben.
Diesem Maßstab wird das streitgegenständliche SPC II nach Auffassung des LG Düsseldorf nicht gerecht. Vielmehr bilde allein der Wirkstoff A den Kern der Erfindung. Für diesen wurde jedoch bereits das SPC I erteilt.