Einleitung
Lesen Sie dazu auch den Beitrag “EuGH zum Verletzerzuschlag“ Teil I: Du musst nicht…” von Jonas Block.
In Teil I der Beitragsserie zum „Verletzerzuschlag“ nach der Durchsetzungs-RL wurde behandelt, unter welchen Voraussetzungen die nationalen Verletzungsgerichte pauschalierte Aufschläge auf den Schadensersatzanspruch nach Lizenzanalogie anordnen dürfen. In der dort besprochenen Entscheidung hatte der EuGH klargestellt, dass dies nur ausnahmsweise möglich ist. Der nationale Gesetzgeber sei allerdings nicht daran gehindert, stärker schützende Maßnahmen vorzusehen. Teil II befasst sich mit einer zweiten aktuellen Entscheidung des EuGH, die diesen Aspekt in den Fokus nimmt.
Zum Urteil
EuGH, Urt. v. 25.01.2017, C-367/15, veröff. InfoCuria
Relevante Rechtsnormen
Art. 13 Durchsetzungs-RL (RL 2004/48/EG)
Sachverhalt
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine polnische Verwertungsgesellschaft auf dem Gebiet audiovisueller Urheberrechtswerke. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens strahlt Fernsehsendungen im polnischen Kabelfernsehnetz aus. Nachdem ein Lizenzvertrag zwischen den Parteien auslief, klagte die Klägerin auf Unterlassung und Schadensersatz.
Im polnischen Urheberrecht steht dem Rechtsinhaber ein Wahlrecht bei der Art und Weise der Wiedergutmachung des zugefügten Schadens zu. Der Rechtsinhaber kann entweder „nach den allgemeinen Grundsätzen“ Naturalrestitution verlangen oder die Zahlung eines pauschalen Geldbetrags in Höhe des Doppelten oder – bei schuldhafter Verletzung – des Dreifachen Betrags der Vergütung nach Lizenzanalogie.
Der Oberste polnische Gerichtshof legte dem EuGH im Rahmen des Ausgangsverfahrens am 15.05.2015 die Frage vor, ob Art. 13 der Durchsetzungs-RL einer solchen nationalen Regelung entgegensteht.
Entscheidungsgründe
Nationale Regelungen zu pauschalierten Verletzerzuschlägen dürfen ohne Nachweis der Kausalität der konkreten Schadenshöhe die Zahlung einer Geldsumme vorsehen, die dem Doppelten der angemessenen Vergütung nach Lizenzanalogie entspricht.
Der EuGH stellte fest, dass Art. 13 der Durchsetzungs-RL einer solchen nationalen Regelung nicht entgegensteht, wenn die pauschale Geldsumme maximal der doppelten Vergütung nach Lizenzanalogie entspricht (Ls.). Dabei ließ sich das Gericht davon leiten, dass die Schadensersatzschuldnerin im Ausgangsverfahrens in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, dass die Zahlung des Doppelten der hypothetischen Vergütung in der Praxis einer Entschädigung gleichkomme, die geringer ausfalle als die, die der Rechtsinhaber nach den „allgemeinen Grundsätzen“ verlangen könnte (Rz. 30). Es ist interessant, dass der EuGH die pauschale Verdoppelung der nach Lizenzanalogie geschuldeten Gebühr deshalb nicht als Strafschadensersatz versteht. Denn Strafschadensersatz ist nach dem 26. Erwägungsgrund der Enforcement-Richtlinie nicht bezweckt. Die Kammer sieht die Verdoppelung eher als realistische – wenngleich meist restriktive – Schätzung des Geldbetrags an, der durchschnittlich im Wege der Naturalrestitution verlangt werden könnte. Wenn der so ermittelte Pauschalbetrag im Einzelfall ausnahmsweise den tatsächlichen Schaden eindeutig und beträchtlich übersteigt, soll der Kläger allerdings wegen Rechtsmissbrauchs auf die Naturalrestitution verwiesen werden dürfen (Rz. 31).
Zudem befasste sich die Kammer mit den Anforderungen an den Kausalitätsnachweis bei pauschalen Schadensersatzansprüchen in Geld. Ein strenges Kausalitätserfordernis sei mit diesem Konzept unvereinbar, etwa wenn der Inhaber des verletzten Rechts die Kausalität des Schadens dem Grunde und der Höhe nach jeweils nachweisen müsste (Rz. 32). Damit gibt der EuGH vor, dass bei pauschalen Schadenersatzansprüchen die Kausalität für die Schadenshöhe nicht nachgewiesen werden muss.
Konsequenz
Die Entscheidung des EuGH zeigt den nationalen Gesetzgebern einen legislativen Korridor für pauschalierte Schadensersatzansprüche nach nationalem Recht auf und gibt konkrete Hinweise, wie die Mitgliedstaaten die pauschale Schadensfestsetzung richtlinienkonform ausgestalten können. Eine Umsetzungspflicht der Mitgliedstaaten erwähnt der Gerichtshof allerdings nicht. Dies dürfte der fakultativen Formulierung in der Richtlinie geschuldet sein ([…] sie können stattdessen in geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen, […].“). Auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes in Deutschland gibt es bisher keine vergleichbare Gesetzesgrundlage. Damit sind die Gerichte an die engen Grenzen der Entscheidung „Hansson ./. Jungpflanzen“ (C-481/14, vgl. Teil I dieser Beitragsserie) gebunden. Sofern dies politisch gewünscht ist, müsste der deutsche Gesetzgeber tätig werden, um der Praxis pauschale Schadensersatzansprüche in größerem Umfang zu ermöglichen.