Diesel-Additiv

0
1096
Aufrufe
© andreas160 578 pixabay.com

Eine äquivalente Patentverletzung kommt auch dann in Betracht, wenn das konkrete Austauschmittel dem Fachmann am Prioritätstag noch nicht zur Verfügung gestanden hat, es jedoch durch den anschließenden allgemeinen technischen Fortschritt hervorgebracht worden ist und der Durchschnitts- fachmann, hätte ihm die moderne Technik bereits im Prioritätszeitpunkt zur Verfügung gestanden, in ihr naheliegend ein taugliches Ersatzmittel für die Durchführung der Erfindung gesehen hätte.

Zum Urteil

OLG Düsseldorf I-2 U 5/14, Urteil vom 07.07.2016

Relevante Rechtsnormen

§ 14 PatG

Sachverhalt

Das Klagepatent betrifft ein Verfahren zum Betreiben eines Dieselmotors. Inhalt des Verfahrens ist zum einen die Ausrüstung des Dieselmotors mit einem Katalysator, dessen Auffangkanäle mit Platin beschichtet sind, sowie zum anderen das Betreiben des Motors durch Verbrennen eines Gemisches aus Dieselkraftstoff und einer kraftstofflöslichen Cerium-Zusammensetzung. Das im Kraftstoff gelöste Cerium, welches mit dem Diesel gemeinsam verbrannt wird, soll bewirken, dass die Abbrenntemperatur des Abgases dauerhaft abgesenkt wird, was sich günstig auf die Motorleistung bei gleichzeitig geringem Schadstoffausstoß auswirkt. Die Beklagte vertreibt ein Kraftstoffadditiv, das dem Dieselkraftstoff (durch Einfüllen in den Tank) beigegeben werden kann. Die aktive Komponente des Additivs ist ein Ceroxid, welches in Form von Nanopartikeln mit einer Partikelgröße im Bereich von 4-10 nm vorliegt. Aufgrund ihrer geringen Größe sedimentiert das Ceroxid über einige Monate hinweg nicht, sondern bleibt homogen im Kraftstoff verteilt.

Bisherige Rechtsprechung

OLG Düsseldorf, InstGE 10, 198 zeitversetztes Fernsehen.

Entscheidungsgründe

  • Dass die Ceriumzusammensetzung „kraftstofflöslich“ sein soll, hat für den Durchschnittsfach- mann erkennbar den Sinn, dass bei der Kraftstoffverbrennung (darin gelöste) Ceriumverbindun- gen mit in das Abgas gelangen, welches Abgas die Ceriumverbindungen in die platinbeschichte- ten Kanäle des Katalysators transportiert, um dort die Abbrenntemperatur herabzusetzen. Damit dies im Betrieb des Dieselmotors bei jedem Verbrennungsvorgang geschieht, darf sich das Cerium im Kraftstofftank nicht absetzen, sondern muss – auch bei Berücksichtigung gewisser Standzeiten des Fahrzeuges – darin „gelöst“ bleiben. Das bedeutet freilich nicht, dass Cerium-Nano- partikel als im Kraftstoff „gelöst“ (= kraftstofflöslich) verstanden werden dürften. Die Auslegung des Klagepatents hat aus dem Blickwinkel des Prioritätstages zu erfolgen, was bedingt, dass die Merkmale des Patentanspruchs vor dem Hintergrund desjenigen Wissens interpretiert werden müssen, das dem Durchschnittsfachmann zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung gestanden hat. Für das Verständnis des Klagepatents und seiner Begriffe kann deswegen nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Nanotechnologie im Prioritätszeitpunkt unstreitig noch in ihren Anfängen steckte, so dass dem Fachmann die zur Herstellung eines nicht sedimentierenden Gemisches benötigten sehr kleinen Partikelgrößen überhaupt noch nicht zur Verfügung standen. Da die ihm allein verfügbaren großen Partikel ausflocken, musste der Fachmann des Prioritätstages zu der Erkenntnis kommen, dass mit dem Begriff „kraftstofflöslich“ ausschließlich solche molekular-dispersen Lösungen gemeint waren, die nach dem damaligen Kenntnisstand für die Zwecke der Erfindung brauchbar waren. Die von der angegriffenen Ausführungsform verwendeten Nanopartikel stellen deswegen keine „kraftstofflöslichen“ Ceriumverbindungen im Wortsinn dar.
  • Bei ihnen handelt es sich jedoch um ein technisch gleichwirkendes und für den Fachmann naheliegendes Ersatzmittel, das unter Äquivalenzgesichtspunkten in den Schutzbereich des Klagepatents einzubeziehen ist.

Was zunächst die Gleichwirkung betrifft, so können die im Wortsinn des Patentanspruchs liegenden molekulardispersen Lösungen auf Dauer nicht sedimentieren, während dies bei Nanopartikeln lediglich über mehrere Wochen bis zu einigen Monaten der Fall ist. Rechtlich bleibt dies jedoch ohne Folgen, weil es dem Klagepatent lediglich darauf ankommt, unter den Bedingungen eines normalen Fahrzeugbetriebes zu gewährleisten, dass mit jedem Kraftstoff jeweils auch darin gelöstes Cerium verbrannt wird, das im Katalysator die Abbrenntemperatur herabsetzen kann. Zu einem gewöhnlichen Fahrzeugbetrieb mag ein mehrwöchiger Fahrzeugstillstand gehören, der z.B. durch Krankheits- oder Urlaubsabwesenheiten bedingt ist. Ein zur Sedimentation von Nanopartikeln führender mehrmonatiger Stillstand des Fahrzeuges stellt jedoch einen völlig außergewöhnlichen Betriebszustand dar, den das Klagepatent nicht im Blick hat und der deshalb auch nicht infrage stellen kann, dass die Cerium-Nanopartikel für die praktischen Zwecke der Erfindung dasselbe Sedimentationsverhalten zeigen wie molekular-disperse Lösungen.

Der Einsatz einer Cerium-Zusammensetzung, die gemeinsam mit dem Dieselkraftstoff aufgrund der eingesetzten Nanopartikel eine hinreichend stabile Dispersion bildet, war für den Fachmann auch naheliegend als Alternative zu der beanspruchten kraftstofflöslichen Cerium-Zusammen- setzung aufzufinden. Dem steht nicht entgegen, dass Nanopartikel dem Fachmann im Prioritätszeitpunkt noch nicht geläufig waren. War das Ersatzmitglied als solches am Prioritätstag noch unbekannt, weil es erst durch den weiteren Fortgang der allgemeinen technischen Entwicklung bereitgestellt worden ist, so ließe sich zwar theoretisch folgern, dass in seiner Wahl keine äqui- valente Benutzung liegen kann, weil das Austauschmittel für den Fachmann mit dem Wissen des Prioritätstages naheliegend gewesen sein muss. Diese Konsequenz wäre jedoch unhaltbar, wenn es in Kenntnis des Patents keiner über die Routine des Fachmanns hinausgehender Erwägungen bedurfte, um zu erkennen, dass die patentierte Erfindung objektiv gleichwirkend auch mit dem erstmals nachträglich zur Verfügung stehenden Mittel ausgeführt werden kann. Hier beruht die Abwandlung vom Anspruchswortlaut gerade nicht auf besonderen schöpferischen Überlegung des Fachmanns, sondern darauf, dass dem Verletzer zufällig der allgemeine technische Fortschritt in den Schoß gefallen ist. Unter solchen Umständen muss es, damit der Patentinhaber an dem sich außerhalb seiner Erfindung vollziehenden allgemeinen technischen Fortschritt teilhat, für die Einbeziehung in den Schutzbereich ausreichen, dass die Äquivalenzvoraussetzungen des Naheliegens bei Orientierung an der technischen Lehre des Patentanspruchs erfüllt sind, wenn unterstellt wird, dass dem Fachmann das (tatsächlich erst später verfügbar gewordene) Ersatzmittel (hier: Nanopartikel) bereits im Prioritätszeitpunkt bekannt gewesen ist. Es ist also ein hypothetischer Auffindbarkeitstest durchzuführen: Hätte der Fachmann das moderne Austauschmittel (hier: Nanopartikel), angenommen es hätte ihm zum Prioritätszeitpunkt bereits zur Verfügung gestanden, mit seinem Wissen und Können zum Prioritätszeitpunkt ohne erfinderische Tätigkeit als gleichwirkenden Ersatz aufgefunden?

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here