Abdichtsystem II – Haftung für Verkäufe im Ausland

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Dieser zweite Teil der Entscheidungsbesprechung behandelt die Feststellungen zur Haftung eines Patentbenutzers für Verkäufe im Ausland, wenn dessen Abnehmer ihrerseits die betroffenen Produkte nach Deutschland einführen. Das Urteil stellt an eine akzessorische Haftung wegen „Förderns“ besagter Einfuhr und inländischer Verkäufe geringere Anforderungen als noch die Vorinstanz und bejaht diese auch im entschiedenen Fall. Insbesondere werden auch Fahrlässigkeitsgesichtspunkte bezüglich des Weiterverkaufs der Abnehmer nach Deutschland berücksichtigt.

Zur Entscheidung

BGH, X ZR 120/15, Urteil vom 16.05.2017 (veröff. GRUR 2017, 785)

Relevante Rechtsnormen

§§ 139 ff. PatG

Sachverhalt

Der sehr „ergiebigen“ Entscheidung liegt eine Konstellation zugrunde, bei der die Beklagte in Italien ansässig ist und die patentbenutzenden Produkte einerseits dort vertreibt, andererseits selbst nach Deutschland liefert. Im italienischen Ausland beliefert sie allerdings auch Abnehmer, die die Produkte sodann ihrerseits (auch) nach Deutschland einführen.

Das LG Mannheim hatte Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen zugesprochen und die Schadensersatzpflicht festgestellt, den Anspruch auf Vernichtung hingegen abgewiesen. Als verletzend wurden insbesondere die Verkaufsaktivitäten der italienischen Beklagten auf dem deutschen Markt angesehen.

In zweiter Instanz verfolgte die Klägerin erfolglos das Ziel, auch den Vertrieb in Italien als den deutschen Teil des geltend gemachten Patents verletzend zu erfassen, soweit die dortigen Abnehmer ihrerseits die Produkte nach Deutschland einführten.

In der Revisionsinstanz streiten die Parteien um Bestehen und Umfang des Rückrufanspruchs, sowie um die durch die Klägerin weiterhin geltend gemachte Verletzung durch den Vertrieb in Italien an Kunden, die ihrerseits nach Deutschland importieren.

Bisherige Rechtsprechung

In „MP3-Player-Import“ (GRUR 2009, 1142) hatte der Bundesgerichtshof sich bereits mit der Frage einer akzessorischen Haftung des Spediteurs aufgrund unterlassener Prüfung der beförderten Ware auf Schutzrechtsverletzung befasst und dabei eine generelle Prüfungspflicht verneint.

Funkuhr I“ (GRUR 2002, 599) hatte für eine Verletzung durch Lieferungen im patentfreien Ausland gefordert, dass der in Anspruch genommene Lieferant positive Kenntnis an einer anschließenden Weiterlieferung der fraglichen Güter nach Deutschland hat.

Deckenheizung“ (GRUR 2006, 839) hatte für die Lieferung auch patentfrei einsetzbarer Mittel (die also nicht zwingend zu einer anschließenden Patentbenutzung durch die Abnehmer führt) auf Rechtsfolgenseite die Verurteilung zu milderen Mitteln als der „Schlechthinuterlassung“ ermöglicht, wenn etwa ein Warnhinweis auf den Produkten zur Vermeidung patentbenutzender Verwendung durch die Abnehmer ausreichend sein kann.

Auf instanzgerichtlicher Ebene hatte das LG Mannheim bereits in Sachen „Seitenaufprall- Schutzvorrichtung“ (GRUR-RR 2013, 449) eine Haftung für Lieferungen im Ausland bejaht, weil mit der nahtlosen Weiterbelieferung eines (nach erfolgter Abmahnung erkennbar) verletzenden Abnehmers gegen Prüfungspflichten verstoßen wurde.

Entscheidungsgründe

Der Verkauf erfindungsgemäßer Produkte im Ausland an Abnehmer, die besagte Produkte sodann in Deutschland weitervertreiben, kann auch dann eine Haftung gem. §§ 139 ff. PatG begründen, wenn der Verkäufer zwar keine positive Kenntnis vom Weiterverkauf durch seine Abnehmer, wohl aber Anlass zu entsprechender Prüfung hatte. In solchen Konstellationen kann im Rahmen von Auskunft und Rechnungslegung ein Offenlegen der gesamten Vertriebshandlungen gegenüber diesen Abnehmern geschuldet sein.

Der Bundesgerichtshof befasst sich im Hauptteil der Entscheidung mit der Frage, wie die eingangs beschriebene „Auslandskonstellation“ sich auf die Verletzungsfrage an sich auswirkt. Das Oberlandesgericht hatte eine Haftung der Beklagten für Verkäufe in Italien schließlich noch mit dem Argument verneint, dass auch eine akzessorische Haftung wegen „Förderns“ der durch die Abnehmer anschließend ggf. begangenen Benutzungshandlungen in Deutschland ausscheide. Zentrales Element der berufungsinstanzlichen Argumentation stellte die fehlende (bzw. nicht feststellbare) Kenntnis der Beklagten bezüglich solcher Handlungen dar. An diese hatte das Oberlandesgericht vergleichsweise strenge Anforderungen gestellt und insbesondere auch Indizien wie die Tatsache, dass Bedienungsanleitungen durch die Beklagte auch in deutscher Sprache zur Verfügung gestellt wurden, nicht ausreichen lassen.

Der Bundesgerichtshof hebt das zweitinstanzliche Urteil in diesen Punkten auf. In Übertragung der für Frachtführer entwickelten Grundsätze (siehe hierzu etwa BGHZ 182, 245, veröffentlicht in GRUR 2009, 1142) stellt er bei fehlender „echter Kollusion“ zwischen Lieferant und Abnehmer darauf ab, ob der Lieferant eine „Prüfungspflicht“ hatte. Diese kann – beim Frachtführer wie (nun) auch beim ausländischen Hersteller und Lieferanten – durch „konkrete Anhaltspunkte für eine Verletzung fremder Schutzrechte“ (Rz. [54] der Entscheidung) ausgelöst werden.

Damit ist eine positive Kenntnis des Lieferanten von den inländischen Benutzungshandlungen seiner ausländischen Abnehmer nicht (mehr) zwingend erforderlich. Stattdessen begründet der Bundesgerichtshof eine Art „Fahrlässigkeitshaftung“, die an die fehlende Überprüfung auf das Bestehen solcher Benutzungshandlungen anknüpft (Rz. [62] der Entscheidung). Der Bundesgerichtshof relativiert diese Erweiterung der Haftung allerdings teilweise dadurch, dass er die Anforderungen an ein Auslösen der Prüfungspflicht (als Voraussetzung der Haftung bei fehlender Erfüllung) recht hoch ansetzt. Am Grundsatz, dass das Geschäftsverhalten der eigenen Abnehmer regelmäßig nicht zu überprüfen ist, sondern auf deren Rechtstreue vertraut werden darf, will er ausdrücklich nicht rütteln (Rz. [63]). Entsprechend genügt das Wissen, dass die Abnehmer generell auch auf dem deutschen Markt aktiv sind, noch nicht für das Entstehen der Prüfungspflicht. Es müssen zusätzlich Anhaltspunkte hinzutreten, die eine konkrete Verbindung zwischen der ausländischen Belieferung des Abnehmers und dessen Aktivitäten in Deutschland erkennen lassen. Dann allerdings ist der Lieferant zur kritischen Nachfrage unter Hinweis auf die Möglichkeit einer Schutzrechtsverletzung gehalten und muss – bei Ausbleiben einer „plausiblen“ (Rz. [64]) Antwort – ggf. die Belieferung einstellen, will er nicht selbst verantwortlich werden.

Konkret lehnt der Bundesgerichtshof eine Prüfungspflicht wegen des allgemein bekannten Vertriebs durch die Abnehmer von Produkten auch des spezifischen Typs (Reifenreperatursets) der angegriffenen Vorrichtungen auf dem deutschen Markt ab. Ebenso wird das Bereitstellen deutschsprachiger Betriebsanleitungen als nicht ausreichend angesehen. Erst aus dem Wissen der Beklagten, dass auf dem deutschen Markt sehr viel mehr als durch sie im Direktvertrieb dorthin gelieferte Produkte aus ihrer Herstellung zirkulieren, begründet der Senat im hier entschiedenen Fall die Prüfungspflicht, deren Nichterfüllen sodann zur Haftung der Beklagten führt.

Auf Rechtsfolgenseite eröffnet der Bundesgerichtshof schließlich erneut die Möglichkeit tatrichterlicher Einzelfallbewertung, indem er die „Schlechthinunterlassung“ in Anlehnung an die für die mittelbare Patentverletzung entwickelten Grundsätze unter einen Zumutbarkeitsvorbehalt stellt (Rz. [80] f.). Entscheidend für die Frage, was von dem Lieferanten verlangt werden kann, ist daher das (festgestellte bzw. erwartbare) Verhalten der Abnehmer. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass gerade bei international aktiven Abnehmern regelmäßig nicht jede Belieferung auch zu einem Weiterverkauf nach Deutschland führen wird.

Parallelen zur mittelbaren Patentverletzung zieht der Senat schließlich auch bezüglich des Umfangs von Auskunft und Rechnungslegung (Rz. [84] ff.). Die Auskunftspflicht besteht für Lieferungen an „betroffene“ Abnehmer demnach weitgehend unabhängig davon, ob die konkret gelieferten Produkte nach Deutschland weitergeleitet wurden. Erforderlich ist aber natürlich, dass der fragliche Abnehmer zumindest eine Verletzungshandlung begangen hat (Rz. [84]).

Konsequenz

Lesen Sie dazu auch den Beitrag “Abdichtsystem I – Rückruf und Vernichtung bei internationalen Fallkonstellationen” von Matthias Weiden.

Auch die hier besprochenen weiteren Aspekte der Entscheidung stärken – bei aller Notwendigkeit einer Einzelfallbetrachtung, die der Senat mehrfach betont – eher die Rechte des Patentinhabers. Der Bundesgerichtshof erweitert die Haftung auf Fälle, die eher dem Bereich der Fahrlässigkeit (bezüglich der Weiterlieferung durch die eigenen Abnehmer ins Inland, nicht nur bezüglich der Verletzung als solcher) zuzuordnen sind. Die flankierende Klarstellung einer umfassenden Pflicht zur Rechnungslegung kann – abermals je nach Fallkonstellation – Umfang und Kosten der Auskunftserteilung deutlich erhöhen.

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Matthias Weiden
Matthias Weiden ist Rechtsanwalt in einer internationalen Sozietät und dort auf Patentstreitigkeiten spezialisiert. Er hat neben den deutschen Staatsexamina und der französischen Maîtrise en Droit auch einen Master in Public Policy an der Harvard University erworben. Auf nationalen und internationalen Konferenzen spricht er etwa zu der deutschen und europäischen Rezeption der Huawei v. ZTE - Rechtsprechung und zu Rechtsproblemen des Patentschutzes für softwareimplementierte Erfindungen.
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