Im Rahmen der im Bestandverfahren möglichen Selbstbeschränkung stellt sich die Frage der Grenzziehung zu der unzulässige Neugestaltung des Patents und zwar nicht nur in inhaltlicher Hinsicht bzgl des im Anspruch geschützten Patentgegenstands, sondern auch im Hinblick auf die Fassung des Anspruchssatzes als solche. Insoweit hatte das BPatG sich wiederholt mit der Frage zu befassen, ob es zulässig ist einen neuen nebengeordneten Patentanspruch zu formulieren und welche Anforderungen hieran zu stellen sind. Der 4. Senat bejahte diese Frage.
Zum Urteil
BPatG Urt. 20.10.2015/4 Ni 6/14 (veröff. in Leitsatz in Mitt. 2016, 125)
Relevante Rechtsnormen
§ 34 PatG, § 64 PatG, § 9 PatV, § 10 PatV, Art 101 Abs 2 EuPatÜbk
Sachverhalt
Die Patentinhaberin hatte im Nichtigkeitseverfahren vor dem BPatG einen Anspruchssatz verteidigt, dessen weit gefasster erteilter Anspruch 1 dergestalt beschränkt verteidigt werden sollte, dass der Anspruchssatz insoweit unter Aufnahme von Merkmalen der Beschreibung und einzelner Unteransprüche auch einen neuen Nebenanspruch 2 und hierauf rückbezogene neue Unteransprüche aufwies, um so dem Nichtigkeitsangriff fehlender Patentfähigkeit des Anspruchs 1 erteilter Fassung zu entgehen und das Patent weitestgehend zu erhalten, ohne zugleich die Beschränkung auf sämtliche Unteransprüche erteilter Fassung fortführen und übernehmen zu müssen. Dabei führten auch die neu gefassten Ansprüche weder zu einer Erweiterung des Inhalts der Anmeldung noch des Schutzbereichs. Der 4. Senat des BPatG ließ diese Form der Selbstbeschränkung zu.
Bisherige Rechtsprechung
Lesen Sie dazu den Beitrag “Neue Ansprüche bei Selbstbeschränkung | Fixationssystem” von Rainer Engels.
Bereits in einer früheren Entscheidung hatte der 4. Senat (BPatG GRUR 2013, 487 – Fixationssystem) für die Fallgestaltung eines Angriffs fehlender Ausführbarkeit eine derartige Selbstbeschränkung gebilligt unter Hinweis auf die Rspr. der Beschwerdekammern des EPA und vereinzelter Entscheidungen der Senate des BPatG (BPatG GRUR 2013, 487 – Fixationssystem), während der 5. Senat eine solche Verteidigung als unzulässig ansieht (BPatG Urt. v. 11.2.2015, 5 Ni 8/13 (EP); zur umstrittenen Bildung neuer Unteransprüche (Zulässigkeit verneinend BPatGE 43, 230 – Spülgut; bejahend BPatGE 44, 240 = GRUR 2002, 327, 330 – Erstes Impulssignal). Der Senat bejahte die Zulässigkeit auch im aktuellen Fall für den Angriff fehlender Patentfähigkeit insb. unter Hinweis auf die vergleichbare Entscheidung EPA T 263/05 ABl. 2008, 329 (siehe auch BPatG Beschl. v. 28.7.2008, 9 W (pat) 405/05).
Entscheidungsgründe
Das BPatG beschied:
1. Wird im Nichtigkeitsverfahren vor dem BPatG zur Verteidigung des Streitpatents ein Anspruchssatz aufgestellt, welcher neue nebengeordnete Ansprüche mit Unteransprüchen enthält, so begründet dies als solches – bei inhaltlich beschränktem Patentgegenstand – keine unzulässige Neugestaltung des Patents, sondern eine Selbstbeschränkung.
2. Diese gewählte Form der Selbstbeschränkung ist jedenfalls dann zulässig, wenn die verteidigte Fassung der Ansprüche durch den konkreten Nichtigkeitsangriff veranlasst ist, hier der Beschränkung des Hauptanspruchs des wegen fehlender Patentfähigkeit angegriffenen Streitpatents durch Aufnahme von Merkmalen aus der Beschreibung (im Anschluss an BPatG GRUR 2013, 487 – Fixationssystem).
3. Im Rahmen der erweiterten Zulässigkeitsprüfung einer Selbstbeschränkung des erteilten Patents im Nichtigkeitsverfahren kommt nur eine entsprechende Anwendbarkeit der für das Anmeldeverfahren zu beachtenden Vorschriften nach dem Patentgesetz und der Patentverordnung in Frage. Ordnungsvorschriften, wie § 34 PatG oder §§ 9, 10 PatV, können deshalb der Zulässigkeit einer Änderung des Patents und der Neuformulierung erteilter Patentansprüche nur entgegenstehen, wenn ihr Ordnungszweck nicht mit der Erteilung des Patents entfallen ist
Konsequenz
Die in dieser Entscheidung aufgeworfenen Fragen sind höchstrichterlich insbesondere im Hinblick auf die Grenzen des dem Patentinhaber durch zulässige Selbstbeschränkung zugebilligten Gestaltungsrechts noch nicht geklärt. Ob sich das im Urteil herangezogene Argument berechtigter Interessen des Patentinhabers auf eine effektive und auf größtmöglichen Rechtserhalt gerichteten Verteidigung als ausreichend für eine derart weitreichende Verteidigungsmöglichkeit durchsetzen wird, erscheint fraglich, auch wenn der Senat einschränkend ein Rechtsschutzinteresse für die konkrete Anspruchsfassung gefordert hat, welches durch den Nichtigkeitsangriff veranlasst sein muss, während eine allein zur besseren Durchsetzungsmöglichkeit angestrebte Neuformulierung des Patents nicht als ausreichend gesehen wurde (so aber Engel GRUR 2009, 248, 251).