Beim Verwendungsanspruch wird eine – meist bekannte – Sache oder ein Verfahren zu einem bestimmten Zweck verwendet und zeigt diesbezüglich eine bestimmte Brauchbarkeit auf. Der ein Erzeugnis betreffende Verwendungsschutz lässt sich richtigerweise sowohl als besondere Form des Verfahrensschutzes als auch als eingeschränkter Sachschutz verstehen (Keukenschrijver/Busse, PatG 8. Aufl., § 1 Rn. 149) und ist in der Rspr. des BGH sowohl als Verfahrensanspruch angesehen worden (BGHZ 110, 82 – Spreizdübel) als auch bei der Verwendung eines Stoffs dem zweckgerichteten Sachschutz zugeordnet worden (BGHZ 164, 220 – Arzneimittelgebrauchsmuster). Fraglich ist, ob die erstmalige Formulierung einer (weiteren) Wirkung eines bekannten Erzeugnisses, die nicht zugleich eine weitere Brauchbarkeit (Funktion) des Erzeugnisses aufzeigt, sondern gerade die bekannte Brauchbarkeit betrifft, unter dem Gesichtspunkt der Verwendungserfindung schutzfähig ist?
Zum Urteil
BGH/Urt. v. 23.2.2017/X ZR 99/14, (veröff. in GRUR 2017, 681)
Relevante Rechtsnormen
§§ 1, 3 PatG
Sachverhalt
Erfindungsgemäß beschäftigte sich das Streitpatent mit der Verhinderung von Infektionen durch im (Trink-)Wasser befindliche Cryptosporidium-Oozysten und ähnlichen Organismen. Der angegriffene Anspruch war auf die Verwendung eines zeitlich kontinuierlichen (“time-continuous”) Breitbands ultravioletten Lichts zum Behandeln von Trinkwasser zur Eliminierung des Potenzials für Cryptosporidium-Oozysten-Infektionen gerichtet, wobei die Neuheit dieser Lehre im Hinblick auf die konkrete Verwendung zur Eliminierung des Potenzials für Cryptosporidium-Oozysten-Infektionen fraglich war. Denn die Behandlung von Wasser mit UV-Licht in der vom Streitpatent beanspruchten Wellenlänge und Dosierung war durch eine Schrift vorbekannt, wobei auch dort das Infektionspotenzial von Cryptosporidien zwangsläufig eliminiert wurde.
Bisherige Rechtsprechung
Das BPatG hat in mehreren Entscheidungen auch unter dem Aspekt der in früherer Rechtsprechung als „Funktionserfindung“ genannten Erfindungskategorie eine Neuheit derartiger Verwendungsansprüche verneint (BPatGE 41, 202 – Kaffeefiltertüte; BPatG Beschl. v. 23.1.2014, 15 W (pat) 13/11 – Schmiermittelzusammensetzung), so auch vorliegend (Urt. v. 13.05.2014, Az.3 Ni 3/13 (EP)); der X. Senat kam zu einem anderen Ergebnis, ohne jedoch die frühere Begrifflichkeit wieder aufzunehmen, unter der in Rspr. und Literatur (hierzu eingehend Weiss GRUR 1966, 113) die sog. „Funktionserfindung“ für die Fallgruppen diskutiert wurde, eine bereits bekannte Funktion auf ein neues Arbeitsgebiet zu übertragen (Übertragungserfindung) oder eine neu erkannte Funktion erstmalig zu verwenden (Anwendungserfindung).
Entscheidungsgründe
Der X. Senat bejahte die Neuheit der angegriffenen Lehre und verwies unter Hinweis auf BGH GRUR 2012, 373 – Glasfasern I darauf, dass für eine neuheitsschädliche Vorwegnahme nur Raum sei, wenn der Fachmann den Gegenstand zweckgerichtet zu dem geschützten Verwendungszweck eingesetzt hat. Daran fehle es im Streitfall. Dass im Stand der Technik mit einer zur Inaktivierung von Bakterien und Viren eingesetzten Anlage ohne Wissen des Fachmanns auch Cryptosporidien inaktiviert wurden, begründe weder einen zweckgerichteten Einsatz noch eine bekannte Verwendungsmöglichkeit in diesem Sinne. Die objektive Eignung stehe dem Schutz der neuen Verwendung nicht entgegen. Der X. Senat fasste deshalb zusammen:
1.Eine Verwendung ist neu, wenn die geschützte Lehre eine zusätzliche Verwendungsmöglichkeit aufzeigt, die durch objektive Merkmale von den im Stand der Technik bekannten Verwendungsmöglichkeiten abgegrenzt werden kann (Bestätigung von BGH GRUR 2012, 373 – Glasfasern I).
2. Für die Annahme einer neuheitsschädlichen Vorwegnahme ist dementsprechend nur Raum, wenn der Fachmann den bekannten Gegenstand zweckgerichtet zu dem geschützten Verwendungszweck eingesetzt hat.
Konsequenz
Der X. Senat belebt damit unausgesprochen die frühere Rspr. und Diskussion zur „Funktionserfindung“ und sieht die Entdeckung eines im Stand der Technik nur zufällig oder unbewusst erzielten Erfolgs, der nunmehr bewusst und planmäßig erreicht werden kann und gelehrt wird, als neue Lehre, auch wenn kein neues, gegenüber dem früheren Stand der Technik abgrenzbares bzw. verändertes Verfahren eingeführt wird und deshalb nur die insoweit immer schon eingetretenen Wirkungen ungeachtet geblieben sind, nunmehr aber erstmals formuliert werden (hierzu eingehend und verneinend Weiss GRUR 1966, 113 unter Hinweis auf die Entscheidung RG GRUR 1923, 41, welche für ein Verfahren zur Ausscheidung der im Wasser absorbierten Gase diese Frage negativ beschied; ebenso Keukenschrijver/Busse, PatG 8. Aufl., § 1 Rn. 146). Der X. Senat verweist vorliegend insoweit in seinem ersten Leitsatz auf die Entscheidung „Glasfasern I“, in dem sich diese Formulierung wiederfindet. Auch dort wurde ebenfalls auf die erstmalige zweckgerichtete Verwendungsmöglichkeit von im Stand der Technik bekannten Glasfasern abgestellt; neu war nur die Erkenntnis, dass diese Glasfasern kein kanzerogenes Potential aufzeigen. Allerdings bleibt zu diskutieren, ob es gerechtfertigt ist, insoweit allein die von neuer Erkenntnis getragene und erstmalig aufgezeigte zweckgerichtete (gezielte) Verwendung als ein objektives Abgrenzungsmerkmal für eine technische Lehre anzusehen.