Erweiterung des Schutzbereichs durch erstmaligen Herstellungsanspruch | BPatG Bohrhilfe

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Bekanntlich darf der Patentinhaber durch eine beschränkte Verteidigung eines im bestandsverfahren angegriffenen Streitpatents weder den Schutzbereich des Patents erweitern noch dessen Gegenstand durch einen anderen (Aliud) ersetzen  und das Patent dadurch neu gestalten, dass etwas nachträglich in das Patent einbezogen und unter Schutz gestellt wird (zum Nichtigkeitsverfahren und EP-Patent BGHZ 204, 199 – Wundbehandlungsvorrichtung).

Entscheidung

Urt. v. 10.03.2016 4 Ni 12/13 (EP) Bohrhilfe (unveröff.)

Relevante Rechtsnormen

Art. 123 III EPÜ; Art II § 6 I Nr. 4 IntPatÜG

Sachverhalt

Der 4. Senat des BPatG hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob der geltende Verfahrensanspruch durch Aufnahme eines weiteren Verfahrensschritts zulässig eingeschränkt war oder nicht vielmehr hierdurch der Schutzbereich erweitert worden war und zudem die nunmehr beanspruchte Lehre unzulässigerweise auf einen anderen technischen Gegenstand, ein Aliud, gerichtet war.

Der geltende Anspruch war gerichtet auf ein

Verfahren zur Erstellung einer Bohrhilfe (16) für ein Zahnimplantat mit nachfolgenden Verfahrensschritten:

  • Verwenden von Röntgenaufnahmen (5) des Kiefers (1) zur Erzeugung eines entsprechenden Messdatensatzes,
  • Bestimmen eines optimalen Bohrlochs für ein Implantat vorzugsweise aufgrund der Röntgenaufnahme,
  • Bestimmen eines Führungslochs in einer Bohrschablone (16), gekennzeichnet durch
  • die dreidimensionale optische Vermessung der sichtbaren Oberfläche von Kiefer (1) und Zähnen (2) und Erzeugen eines entsprechenden Messdatensatzes,
  • die Korrelation der Messdatensätze der Röntgenaufnahme (5) und der Messdatensätze der dreidimensionalen optischen Vermessung (10) und
  • die Bestimmung des Führungslochs in der Bohrschablone (16) relativ zu den Oberflächen (13, 14) der Nachbarzähne (11, 12) aufgrund von Röntgenaufnahmen und optischer Vermessung, während der hilfsweise verteidigte Anspruch das zusätzliche Merkmal aufwies
  • 1.7′ – Fertigung der Bohrschablone mit der Wiedergabe der Oberflächen (13, 14) der Nachbarzähne (11, 12) im Negativ und mit der an vorbestimmter Stelle liegenden Öffnung als Führungsloch anhand der Messdatensätze mit einer CAD/CAM-Maschine.

Entscheidungsgründe

Der Senat verwies zunächst darauf, dass es dahinsteh können, inwieweit dieser Anspruch 1 sich losgelöst von der Frage einer Erweiterung des Schutzbereichs als eine andere und das Patent neu gestaltende Lehre erweise. Denn mit der Aufnahme der die Fertigung der Bohrschablone lehrende Merkmale 1.7′ sei eine derartige Erweiterung des Schutzbereichs verbunden. Eine solche liege jedenfalls vor, wenn unter Anwendung des „Verletzungstests“ der Schutzumfang des geänderten Anspruchs seinem Wortsinn nach Vorrichtungen oder Handlungen umfasst, die nach dem vorherigen Anspruch nicht umfasst waren (BGH GRUR 2014, 650 – Reifendemontiermaschine; Busse/Keukenschrijver PatG, 7. Aufl., § 22 Rn. 27)

Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten führe deshalb die Aufnahme des Merkmals 1.7′ nicht zu einer Einschränkung des Schutzbereichs, sondern zu dessen Erweiterung, da das bisher geschützte Verfahren keine Fertigung der Bohrschablone im Sinne einer die Vollendung des Erzeugnisses unmittelbar herbeiführenden Tätigkeit einschließe, sondern lediglich digitale Daten zur Verfügung gestellt würden, die als Vorstufe und vorgeschalteter Verfahrensschritt der bezweckten Fertigung der Bohrschablone dienten. Der Patentgegenstand des geänderten Anspruchs umfasse jedoch auch die Fertigung der Bohrschablone und stelle damit die so hergestellte Schablone als Ergebnis des Herstellungsverfahrens erstmals als so unmittelbar geschaffenes Erzeugnis nunmehr nach § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG unter den Schutzbereich des erteilen Anspruchs (Benkard/Bacher PatG, 11. Aufl., § 1 Rn. 34).

Eine Bohrschablone als unmittelbar durch das Verfahren hergestelltes Erzeugnis nach § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG werde im erteilten Streitpatent erst durch den auf Anspruch 1 rückbezogenen Verfahrensanspruch 9 geschützt, wonach die Bohrhilfe (16) aus einem dimensionsstabilen Material ausgeschliffen werde, wobei dieses die Form der Okklusalflächen (13, 14) von Nachbarzähnen (11,12) der Implantierungsposition (9) im Negativ wiedergibt Diese nach dem Anspruch 9 hergestellte Bohrhilfe zeichne sich danach durch eine bestimmte Herstellungsweise des Ausschleifens und spezifische Eigenschaften des Materials aus.

Die nach den Anspruch 1 mit dem Merkmal 1.7′ hergestellte Bohrschablone sei hingegen weder durch eine derartige Art der Herstellung noch durch ein bestimmtes Material eingeschränkt und richte sich vielmehr auf eine Teilkombination der durch die erteilten Patentansprüche geschützten technischen Lehre. Damit seit der Schutzbereich des erteilten Patents erweitert, denn eine solche Teilkombination und Verallgemeinerung sei durch die Gesamtheit der Patentansprüche des erteilten Patents nicht geschützt gewesen.

Auch enthaltet das erteilte Patent keinerlei Vorrichtungsansprüche, so dass auch insoweit ein ursprünglicher, durch einen vom Erzeugnisschutz nach § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG umfassten, Schutzumfang (hierzu Senat in BlPMZ 2015, 136 – System zur Umpositionierung von Zähnen) bereits von vornhinein ausscheide. Der Senat formulierte folgende Leitsätze:

  1. Soweit das erteilte Patent nur Verfahrensansprüche zur Erstellung einer Vorrichtung (hier Bohrhilfe für ein Zahnimplantat) enthält, deren Gegenstand sich auf die der abschließenden Fertigung der Vorrichtung vorausgehenden Verfahrensschritte beschränkt, stellt die Aufnahme von Merkmalen in einen geänderten Patentanspruch, welche auch die Fertigung der Vorrichtung lehren, keine Beschränkung des Patentgegenstands dar, sondern begründet eine unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG; Art. 138 Abs. 1 Buchst. d EPÜ, da der geänderte Patentanspruch erstmals auch das so gefertigte Erzeugnis nach § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG unter den Schutzbereich des Patents stellen würde.
  2. Eine derartige Änderung wird auch nicht deshalb zulässig, weil das erteilte Patent abhängige Verfahrensansprüche aufweist, die auch die Fertigung des Gegenstands umfassen, sofern diese Ansprüche nur speziellen Ausführungsformen der im geänderten Anspruch in allgemeiner Form beanspruchten Fertigung des Gegenstands beinhalten.

Konsequenz

Lesen Sie dazu auch den Beitrag “Auslegung und Patenthistorie | BPatG Polsterumformungsmaschine” von Rainer Engels.

Die Entscheidung macht deutlich, wie kritisch vermeintlich einschränkende Anspruchsänderungen zu hinterfragen sind (siehe hierzu auch Beitrag zum Urteil des BPatG v. 27.6.2017, 4 Ni 1/17 (EP) Polsterumformungsmaschine).

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