Restitutionsklage entbindet nicht vom Lesen einer Urkunde

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  1. Zur Geltendmachung eines Restitutionsgrundes des § 580 Nr. 7b ZPO kann ausnahmsweise die Vorlage einer (beglaubigten) Kopie der Urkunde genügen.
  2. Die Frage, ob eine Urkunde i. S. d. § 580 Nr. 7b ZPO aufgefunden oder nachträglich zugänglich gemacht wurde, bestimmt sich anhand objektiver Kriterien. Beim Auffinden kommt es allein auf die Kenntnis von der Existenz der Urkunde an. Die subjektiven Vorstellungen der Partei vom Inhalt und/oder von der Erheblichkeit der Urkunde sind ohne Relevanz. Eine Urkunde, deren Original bei einem öffentlichen Amt hinterlegt ist, und die mit zumutbaren Aufwand vor Ort oder durch Übersendung einer Kopie eingesehen werden kann, ist zugänglich.
  3. Übertragungsvorgänge betreffend die Anmeldung eines Patents vor dessen Erteilung können die Indizwirkung des § 30 Abs. 3 PatG nicht erschüttern; sie sind deshalb nicht weiter aufzuklären. § 7 Abs. 1 PatG statuiert eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung.

Zum Urteil

OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.04.2017, I-15 UH 1/16, (unveröff.)

Relevante Rechtsnormen

§ 580 Nr. 7b ZPO, § 582 ZPO

Sachverhalt

Die Restitutionsbeklagte ist seit dem 10.08.2006 eingetragene Inhaberin eines europäischen Patents betreffend einen Heizkessel. Wegen rechtswidriger Benutzung dieses Patents verurteilte der Senat die Restitutionskläger 2014 im Vorprozess zur Unterlassung und zur Rechnungslegung. Darüber hinaus wurde die Entschädigungspflicht der Restitutionsklägerin zu 1) sowie die Verpflichtung aller Restitutionskläger festgestellt, als Gesamtschuldner der Restitutionsbeklagten allen Schaden zu ersetzen, welcher der Anmelderin des Patents, der A- AG, vom 06.01.2002 bis zum 31.05.2006 sowie der Restitutionsbeklagten seit dem 01.06.2006 entstanden ist bzw. noch entstehen wird. Die Aktivlegitimation der Restitutionsbeklagten stellte der Senat u.a. mit Hilfe ihrer Registereintragung gem. § 30 Abs 3 PatG sowie aufgrund einer zwischen der A-AG und der Restitutionsbeklagten am 31.05.2006 geschlossenen Übertragungs- und Abtretungsvereinbarung fest.

Mit ihrer im Juni 2016 erhobenen Restitutionsklage begehrten die Restitutionskläger die Aufhebung des rechtskräftigen Vorprozessurteils. Die Restitutionsbeklagte sei von Anfang an nicht aktiv legitimiert gewesen. Die Indizwirkung des § 30 Abs. 3 PatG sei erschüttert. Die A- AG habe 1998 mit der B-AG einen Vertrag geschlossen, mit dem die A-AG die dem Patent zugrundeliegende Anmeldung an die B-AG veräußert und wirksam übertragen habe. Angesichts dieser Übertragung sei die A-AG nicht Inhaberin des Patents geworden und habe mangels Inhaberschaft das Patent im Mai 2006 auch nicht (mehr) an die Restitutionsbeklagte übertragen können; die Eintragung der Restitutionsbeklagten in das Patentregister sei folglich fehlerhaft. Den in beglaubigter Kopie vorgelegten Vertrag, der im Original beim Handelsregister- und Konkursamt Zug/Schweiz hinterlegt und einsehbar ist, hätten sie, die Restitutionskläger, erst nach Rechtskraft des Urteils im Vorprozess aufgefunden. Folglich sei sie auch ohne ihr Verschulden daran gehindert gewesen, diese (Vertrags-)Urkunde im Vorprozess geltend zu machen. Für sie hätte auch zu keinem Zeitpunkt eine Veranlassung bestanden, weitere Nachforschungen zur Aktivlegitimation oder zum „Verbleib“ des Patents anzustellen. Ein solcher Anlass sei auch nicht darin zu sehen, dass die B-AG gegenüber der Restitutionsklägerin zu 1) den Vertrag im Jahre 1999 erwähnt habe. Diese Kommunikation liege ca. mehr als acht Jahre vor dem Vorprozess.

Bisherige Rechtsprechung

Nach § 580 Nr. 7b ZPO ist eine Restitutionsklage zulässig, wenn die Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde.

Urkunde i. S. d. § 580 Nr. 7b ZPO ist jede schriftliche Gedankenerklärung, die dem Beweis von Tatsachen dient und zudem vor Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess errichtet worden ist, so dass sie im Zeitpunkt des Vorprozesses existierte und ihre Verwertung objektiv möglich gewesen wäre (BGH, NJW 1980, 1000; BGH, NJW 1976, 294). Da eine Kopie dem Urkundsbeweis gem. §§ 415 ff ZPO nicht zugänglich ist, sie als Augenscheinsobjekt vielmehr der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung unterliegt, eine Restitutionsklage jedoch nicht auf eine Inaugenscheinnahme gestützt werden kann (BGH, NJW 1976, 294), geht die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung unter Verweis auf § 588 Abs. 2 ZPO davon aus, dass nur die Originalurkunde als solche den Restitutionsgrund darstellt. Diese muss deshalb nach dieser Ansicht stets im Prozess vorgelegt werden (OLG Köln, BeckRS 2015, 18512; OLG München, BeckRS 2007, 07122; KG, NJW-RR 1997, 123).

Aufgefunden wird eine Urkunde, wenn ihre Existenz oder ihr Verbleib der Partei bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses bzw. bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist in diesem Verfahren unbekannt war. Nachträglich in den Stand gesetzt wird eine Partei, wenn ihr die Urkunde bislang nicht zugänglich war, insbesondere wenn die Urkunde sich in den Händen eines nicht vorlagebereiten bzw. vorlageverpflichteten Dritten befand. Dies ist bspw. nicht der Fall, wenn die Partei auf die Urkunde Zugriff hätte haben können (BGH, NJW-RR 2013, 833).

Zulässigkeitsvoraussetzung einer Restitutionsklage ist zudem gem. § 582 ZPO, dass die Partei ohne ihr Verschulden außerstande gewesen ist, den Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren geltend zu machen. An die Sorgfaltspflichten der Partei sind wegen der Durchbrechung der Rechtskraft eines Urteils strenge Anforderungen zu stellen und auch nur eine leicht fahrlässige Verletzung dieser Pflichten schließt die Zulässigkeit einer späteren Restitutionsklage aus (BGH, GRUR 2017, 428 – Vakuumtransportsystem; BGH, NJW-RR 2013, 833).

Der Restitutionskläger muss im Rahmen der Zulässigkeit weiterhin schlüssig vortragen, dass die im Vorprozess ergangene Entscheidung falsch ist und bei Beachtung der aufgefundenen und/oder zugänglich gemachten Urkunde eine für ihn günstigere Entscheidung zu treffen ist. Ob insoweit eine „augenfällige Unrichtigkeit“ vorliegen muss oder ob eine gewissen Eignung zur Erschütterung des Urteils des Vorprozesses genügt, ist umstritten (vgl. z.B. BGH, NJW 1967, 630; BGH, NJW 1980, 1000).

(Allein) Der im Patentregister eingetragene Inhaber ist gem. § 30 Abs. 3 PatG befugt, Ansprüche wegen Verletzung des Patents gerichtlich geltend zu machen. Die Eintragung im Patentregister hat aber keinen Einfluss auf die materielle Rechtslage. Sie wirkt weder rechtsbegründend noch rechtsvernichtend. Ihre Legitimationswirkung ist beschränkt auf die Befugnis zur Führung von Rechtsstreitigkeiten aus dem Patent. Die Eintragung im Patentregister ist für die Beurteilung der Frage, wer materiell-rechtlich Inhaber des Patents ist, dennoch nicht bedeutungslos. Ihr kommt im Rechtsstreit eine erhebliche Indizwirkung zu (BGH, GRUR 2013, 713 – Fräsverfahren).

Entscheidungsgründe

Von der Vorlage des Originals der Urkunde kann trotz der grundsätzlich zutreffenden Argumente der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung ausnahmsweise abgesehen werden, wenn die Echtheit der Urkunde unstreitig ist, die Parteien über den Inhalt der Urkunde einig sind und das Gericht überzeugt ist, dass die Angaben beider Parteien auf Wahrheit beruhen. Weder der Wortlaut des § 580 Nr. 7b ZPO verlangt zwingend die Vorlage der Originalurkunde noch werden für das als Restitutionsgrund zugelassene Beweismittel (Urkunde) von den sonstigen prozessualen Regelungen abweichende Anforderungen aufgestellt. Derartige Anforderungen enthält insbesondere nicht § 588 Abs. 2 ZPO. Abgesehend davon, dass auch nach dessen Satz 1 (zunächst) das Beifügen einer Abschrift (vgl. § 131 ZPO) genügt, dient die Erklärungspflicht nach § 588 Abs. 2 ZPO gemeinsam mit den entsprechenden Anträgen dazu, die Urkunde zur Akte zu reichen, so dass sich das Gericht von der Existenz sowie dem Inhalt der Urkunde und somit von dem Vorliegen des behaupteten Restitutionsgrundes (frühzeitig) überzeugen kann. Diesem Zweck kann, wenn sowohl die Existenz, die Echtheit wie auch der Inhalt der Urkunde unstreitig sind, prinzipiell auch durch die Vorlage einer beglaubigten Kopie, die mit dem Original übereinstimmt, genüge getan werden. § 588 Abs. 2 ZPO verweist im Übrigen auch nur auf die allgemeinen Prozessregeln, so dass der Beweis durch eine Urkunde, die sich in den Händen des Beklagten oder eines Dritten befinden, gem. §§ 421, 428 und 432 ZPO anzutreten ist.

Bei den Tatbestandsmerkmalen des Auffindens und/oder des Zugänglichmachens gem. § 580 Nr. 7b ZPO handelt es sich um objektiv zu bestimmende Voraussetzungen. Maßgeblich ist lediglich die Kenntnis von der Existenz der Urkunde und ob diese der Partei zugänglich war. § 580 Nr. 7b ZPO eröffnet in Anbetracht des Ausnahmecharakters der Restitutionsklage keinen Raum für subjektive Vorstellungen der Partei, so dass es insbesondere nicht darauf ankommt, welche Vorstellungen sie vom Inhalt und/oder der Echtheit der Urkunde hat und ob sie die Urkunde für erheblich hält. Weiß die Restitutionsklägerin von der Existenz der Urkunde und ist diese – wie vorliegend – zugänglich, weil sie bei einem öffentlichen Amt hinterlegt ist, ist mithin das spätere Bekanntwerden vom Inhalt der Urkunde und die spätere Erkenntnis von deren Erheblichkeit kein Auffinden und/oder Zugänglichmachen i. S. d. § 580 Nr. 7b ZPO. Welche Zeitspanne zwischen dem Wissen von der Existenz der Urkunde und dem Bekanntwerden ihres Inhalts liegt, ist ohne Relevanz. § 580 Nr. 7b ZPO enthält keinerlei zeitliche Begrenzung.

Der Restitutionsklägerin oblag es wegen der für sie bestehenden Sorgfaltspflichten, sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung bzw. vor Ablauf der Rechtsmittelfrist im Vorprozess vom Inhalt des Vertrages Kenntnis zu verschaffen. Der Vertrag war beim Handelsregister- und Konkursamt Zug/Schweiz hinterlegt und konnte mit zumutbaren Aufwand ohne Weiteres jederzeit vor Ort oder durch Bitte um Übersendung einer Kopie eingesehen werden. Da die Aktivlegitimation der Restitutionsbeklagten im Vorprozess von Beginn an und während der gesamten Dauer streitig war, bestand mithin Veranlassung, vom Inhalt aller bekannten Urkunden Kenntnis zu nehmen, die für diese streitige Frage von Relevanz sein konnten. Auch in diesem Zusammenhang ist unerheblich, wieviel Zeit zwischen dem Wissen von der Existenz der Urkunde und der Erhebung der Klage im Vorprozess lag. Das „Vergessen“ eines bis zu acht Jahre zurückliegenden Umstandes ist nicht schuldlos.

Die Restitutionskläger haben bzgl. der auf §§ 139, 140b PatG, § 242 BGB gestützten Ansprüche nicht schlüssig dargetan, dass der Vertrag zu einer für sie günstigeren Entscheidung geführt hätte, und zwar unabhängig davon, welcher Maßstab insoweit anzulegen ist. Die Indizwirkung der Eintragung in das Patentregister gem. § 30 Abs. 3 PatG kann nicht durch die behauptete Übertragung der dem europäischen Patent zugrunde liegenden Anmeldung erschüttert werden. Nach § 7 Abs. 1 PatG (i. V. m. Art. 60 Abs. 3 EPÜ) wird derjenige, der zum Zeitpunkt der Erteilung des Patents die Anmelderstellung innehat, nicht nur formell, sondern auch materiell-rechtlich Inhaber des erteitelten Patents. § 7 Abs. 1 PatG statuiert eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung. Der Erteilungsakt ordnet als rechtsgestaltener Verwaltungsakt das erteilte Schutzrecht auch konstitutiv einem bestimmten Rechtsträger zu. Der in diesem Zeitpunkt als Anmelder Eingetragene wird unabhängig von der materiellen Rechtslage formell und materiell berechtigter Inhaber des Patents. Etwaige Mängel können lediglich mit Hilfe einer Vindikationsklage geltend gemacht werden. Ausnahmen, die die Unwiderlegbarkeit der Vermutung durchbrechen würden, sind nicht vorgesehen. Das Erteilungsverfahren soll sich unabhängig von der materiellen Berechtigung an der Erfindung auf die Frage der Patentfähigkeit der Erfindung und der förmlichen Anforderungen der Anmeldung konzentrieren und nicht durch die Ermittlungen über die Urheberschaft an der Erfindung verzögert werden (BGH BlPMZ 1997, 396 – Drahtbiegemaschine). Für die konstitutive Wirkung des Erteilungsbeschlusses ist es deshalb insbesondere ohne Relevanz, ob sich die Restitutionsbeklagte wegen persönlicher Verflechtungen mit der Anmelderin de fato keinem Vindikationsanspruch ausgesetzt sah.

Konsequenz

Sämtliche Urkunden, von deren Existenz eine Partei Kenntnis hat, müssen unabhängig vom Zeitpunkt dieser Kenntnis vor Schluss der mündlichen Verhandlung im Verletzungsverfahren sorgfältig auf ihren Inhalt und ihre Relevanz für den Verletzungsstreit überprüft werden.

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