Neuer Meilenstein im Einspruchsbeschwerdeverfahren | BGH Ventileinrichtung

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Der BGH hat mit dieser Entscheidung wichtige Regeln für das Einspruchsbeschwerdeverfahren vor den Senaten des BPatG und den Prüfungsumfang aufgestellt:

1. Das Patentgericht ist nicht befugt, im Einspruchsbeschwerdeverfahren von Amts wegen neue Widerrufsgründe, die nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens vor dem Patentamt waren, aufzugreifen und hierauf seine Entscheidung zu stützen (Bestätigung von BGHZ 128, 280 = GRUR 1995, 333 – Aluminium-Trihydroxid).

2. Wenn eine das Patent aufrechterhaltende Entscheidung des Patentamts in zulässiger Weise mit der Beschwerde angefochten ist, darf der Einsprechende im Beschwerdeverfahren zusätzliche Widerrufsgründe geltend machen, die nicht zum Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gehören.

Zum Urteil

BGH/Beschl./ 08.11.2016/X ZB 1/16 (veröff. in GRUR 2017, 54)

Relevante Rechtsnormen

§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG, § 59 PatG, § 73 PatG, § 79 PatG; § 263 ZPO

Sachverhalt

Der BGH hatte sich in einem Rechtsbeschwerdeverfahren mit der Frage zu befassen, ob der Beschwerdesenat des BPatG zu Recht die erstmalige Geltendmachung eines in der ersten Instanz nicht gegenständlichen Widerrufsgrunds gegen einen geltenden Anspruch, hier der unzulässigen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG, durch den die Beschwerde führenden Einsprechenden als zulässig angesehen hatte und deshalb das Patent widerrufen durfte

Bisherige Rechtsprechung

Bekanntlich gilt seit der BGH Entscheidung „Aluminium-Trihydroxid der Grundsatz, dass sich die Anfallwirkung einer Einspruchsbeschwerde (Engels/Busse PatG, 8. Aufl. 2016, Vor § 73 Rn. 34 und Rn. 71; § 73 Rn. 9) auf den Gegenstand erster Instanz beschränkt und deshalb eine ggü der ersten Instanz erweitere Sachprüfung der Widerrufsgründe des § 21 PatG nicht möglich ist, auch wenn dies in der Literatur wiederholt auf Kritik gestoßen ist, insbesondere im Hinblick auf den geltenden Amtsermittlungsgrundsatz, aber auch die Frage, ob trotz der Fristgebundenheit des Einspruchs die Grundsätze einer Erweiterung des Prüfungsgegenstands erster Instanz (zur Abgrenzung von der Erweiterung der Beschwerde Engels/Busse § 73 Rn 119ff) entsprechend § 263 ZPO möglich ist, während in der Literatur eine Zulässigkeit trotz des angesprochenen Konflikts im Hinblick auf die Besonderheiten des Verfahrens erster Instanz und die Möglichkeit des Aufgreifen weiterer Gründe von Amts wegen bejaht wurde (hierzu ausführlich Engels/Busse § 79 Rn. 37 und Rn 38). Insoweit hatte der BGH bisher offengelassen, ob nicht jedenfalls im Einverständnis mit dem Patentinhaber eine erweiterte Prüfung möglich ist. Die jetzige Entscheidung stellt auf diesen letztgenannten Gesichtspunkt nicht ab und eröffnet die Möglichkeit der Erweiterung des Prüfungsgegenstands gerade nicht auf ein Aufgreifen von Amts wegen, sondern nur im Hinblick auf die durch den Beschwerdeführer geltend gemachte Erweiterung des Prüfungsumfangs, eine Frage, die BGH Aluminium-Trihydroxid offengelassen hatte.

Entscheidungsgründe

Zu Recht ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der von der Einsprechenden im Beschwerdeverfahren zusätzlich geltend gemachte Widerrufsgrund zu berücksichtigen war. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts hätte dieser Widerrufsgrund allerdings nicht von Amts wegen geprüft werden dürfen. Der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens wird nach der Rspr. des Senats auch durch die Widerrufsgründe bestimmt, die Gegenstand des Einspruchsverfahrens vor dem Pa- tentamt waren. Deshalb ist es dem Patentgericht verwehrt, von Amts wegen andere Widerrufsgründe in das Verfahren einzuführen (BGHZ 128, 280, 293 – Aluminium-Trihydroxid).

Zutreffend hat das Patentgericht jedoch angenommen, dass ein Widerrufsgrund, den der Einsprechende erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemacht hat, nach Maßgabe von § 263 ZPO zu berücksichtigen ist. Der Senat hatte sich mit dieser Fragestellung bislang nicht zu befassen. Seine Rechtsprechung, wonach die Berücksichtigung zusätzlicher Widerrufsgründe im Beschwerdeverfah- ren grundsätzlich ausgeschlossen ist, bezieht sich, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, auf den Fall der Berücksichtigung von Amts wegen. Die gemäß § 99 Abs. 1 PatG entsprechend anzuwendenden Vorschriften der Zivilprozessordnung sehen für das Beschwerdeverfahren ebenfalls keine einschränkenden Regelungen vor. Auch die Besonderheiten des Beschwerdeverfahrens in Patentsachen stehen einer entsprechenden Anwendung dieser Grundsätze nicht entgegen. Das gilt auch für die Einlegung der Beschwerde in § 73 Abs. 2 Satz 1 PatG vorgesehene Frist.

Konsequenz

Die Bedeutung der vorliegenden Entscheidung für die Praxis kann nicht hoch genug eingeschätzt werden und ist im Ergebnis zu begrüßen, da dem BPatG nunmehr eine erweiterte Fehlerbehebung der Ergebnisse des Einspruchsverfahrens möglich ist, allerdings – und das ist der Wermutstropfen – nur, wenn der Einsprechende Beschwerdeführer und sich seiner Möglichkeiten bewusst ist, da der BGH die wünschenswerte und dogmatisch mindestens ebenso gut begründbare Korrektur von Amts wegen ausgeschlossen hat. Hierbei hat der BGH den wahren Kern des Problems einer Vereinbarkeit des erweiterten Prüfungsumfangs mit der Ausschlusswirkung fristgebundener Rechtsbehelfe unter dem Hinweis reiner Aspekte des ZPO-Verfahrens überspielt. Hier sei nur an die Rspr. des I. Senats zur vergleichbaren Situation im Markenrecht erinnert, nach der gem. der Rspr. des I. Senats und des BPatG eine Erweiterung des fristgebundenen Widerspruchs ausgeschlossen ist (BGH GRUR 1998, 938 – DRAGON; BPatG BlPMZ 2014, 63 – GIRODIAMANT/DIAMANT). Die weiteren Auswirkungen dieser aktuellen Rspr. auf derartige vergleichbare Rechtsfragen bleibt abzuwarten, wobei auch die Erweiterung der Widerrufsgründe im Einspruchsverfahren vor dem DPMA nach § 263 ZPO möglich sein dürfte und für den Einsprechenden eine Prüfungspflicht des DPMA sicherstellt, die bei einem bloßen Aufgreifen von Amts wegen nicht gewährleistet ist und in zweiter Instanz nur auf Ermessensfehlgebrauch überprüfbar ist (Engels/Busse § 79 Rn. 40).

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