Keine Korrektur unterlassener Präklusion erster Instanz im Nichtigkeitsberufungsverfahren | BGH Einspritzventil

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1. Angriffs- oder Verteidigungsmittel, eine Klageänderung oder eine Verteidigung mit beschränkten Patentansprüchen, die das Patentgericht nicht nach § 83 Abs. 4 PatG zurückgewiesen hat, können auch im Berufungsverfahren nicht zurückgewiesen werden.

2. Ein Nichtigkeitsgrund, der erst nach dem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG geltend gemacht worden ist, den das Patentgericht jedoch sachlich beschieden hat, fällt auch dann ohne weiteres im Berufungsverfahren zur Entscheidung an, wenn das Patentgericht offengelassen hat, ob die Zulassung des weiteren Nichtigkeitsgrunds sachdienlich ist.

Zum Urteil

BGH/Urt./ 09.06.2015/X ZR 51/13 (veröff. in GRUR 2015, 976)

Relevante Rechtsnormen

§ 83 Abs 1, Abs 4 PatG; § 116 Abs 2 PatG; § 263 ZPO

Sachverhalt

Der BGH hatte zu entscheiden, ob der von der Klägerin verfolgte weitere Nichtigkeitsgrund als Klageänderung in der zweiten Instanz gemäß § 116 PatG zu behandeln und ggf. verspätet eingeführt war. Insoweit hatte allerdings bereits das BPatG diesen in erster Instanz geltend gemachten weiteren Nichtigkeitsgrund sachlich beschieden, ohne sich mit der Frage der Klageänderung zu befassen.

Bisherige Rechtsprechung

Nach st. Rspr stellt die Einführung eines weiteren Nichtigkeitsgrunds eine Klageänderung nach § 263 ZPO dar (zur Erweiterung der Widerrufsgründe im Einspruchsbeschwerdeverfahren als Klageänderung BGH GRUR 2017, 54 – Ventileinrichtung; zum gewillkürten Parteiwechsel als Klageänderung BGH Urt. v. 28.06.2016 – X ZR 50/14; BPatG BlPMZ 2014, 323 – Abdeckung). Dies gilt auch beim Angriff bisher nicht angegriffener Ansprüche, der eine nachträgliche objektive Klagehäufung nach §§ 260, 263 ZPO darstellt (BGH GRUR 2010, 901 – Polymerisierbare Zementmischung; vgl. auch Busse/Keukenschrijver PatG, 8. Aufl. 2016, § 82 Rn. 32), wobei § 116 PatG für die zweite Instanz als Sonderregelung gilt und der weiteren Prüfung nach § 117 PatG hinsichtlich der Zulässigkeit der hierzu vorgetragenen neuen Tatsachen vorgeschaltet ist.

Entscheidungsgründe

Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 116 Abs. 2 PatG für die Zulassung einer Klageänderung vorliegen, stellt sich nicht, da diese in erster Instanz erfolgt ist. Ebenso wenig stellt sich die Frage, ob das Patentgericht die Klageänderung nach § 83 Abs. 4 PatG oder nach § 99 Abs. 1 PatG i.V.m. mit § 263 ZPO hätte zurückweisen können, denn das Patentgericht hat dies nicht getan, sondern die Klageänderung sachlich beschieden. Eine in erster Instanz unterbliebene Zurückweisung verspäteten Vorbringens oder verspäteter Anträge kann in der Berufungsinstanz nicht nachgeholt werden. Hierfür bietet das Gesetz keine Grundlage und kommt auch deswegen nicht in Betracht, weil die Zurückweisung, die im Übrigen im Ermessen des Patentgerichts steht, u.a. zur Voraussetzung hat, dass die Berücksichtigung des neuen Vortrags eine Vertagung des Termins zur Verhandlung erforderte (§ 83 Abs. 4 Satz 1 Buchst. a PatG), und diese Voraussetzung im Berufungsverfahren nicht nachträglich eintreten kann. Dass das Patentgericht gemeint hat, es brauche nicht entschieden zu werden, ob die Zulassung der Klageänderung sachdienlich sei, ändert daran nichts.

Konsequenz

Lesen Sie dazu den Beitrag “Verspätungsregime im Nichtigkeitsverfahren zu Lasten des Patentinhabers deutlich verschärft | BGH Photokatalytische Titandioxidschicht” von Rainer Engels.

Die vorliegende Entscheidung trifft für den Fall einer nicht erfolgten Zurückweisung verspäteten Vorbringens, hier einer Klageänderung, die wichtige Aussage, dass unabhängig von der Korrektheit des Verfahrens in erster Instanz eine nachträgliche Zurückweisung und Korrektur durch den BGH ausscheidet, während im umgekehrten Fall eine verfahrensfehlerhafte erstinstanzliche Präklusion der Korrektur des BGH unterliegt und über die Einbeziehung des maßgeblich präkludierten Prozessstoffs in das Berufungsverfahren als nicht verspätet korrigiert werden kann, wie BGH GRUR 2016, 1143 – Photokatalytische Titandioxidschicht zeigt.

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