Waffengleichheit für die Berufungsinstanz im Nichtigkeitsverfahren | BGH Opto-Bauelement

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Im Zusammenhang mit der Frage der Zulassung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel i.S.v. § 117 PatG und der Frage, ob ein in erster Instanz nicht gehaltenes Vorbringen auf Nachlässigkeit i.S.v. § 531 ZPO zeigt der BGH erneut die Bedeutung von § 83 PatG als Dreh- und Angelpunkt für das rechtzeitige Parteivorbringen auf und führt aus: Ein gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilter Hinweis des Patentgerichts, ein in einem Unteranspruch vorgesehenes Merkmal dürfte aus den vorgelegten Dokumenten nicht bekannt sein, gibt dem Nichtigkeitskläger regelmäßig Veranlassung, die Gründe aufzuzeigen, aus denen die Patentfähigkeit für den Gegenstand dieses Unteranspruchs zu verneinen ist.

Zum Urteil

BGH/Urt./05.10.2016/X ZR 78/14 (veröff. in GRUR 2017, 148)

Relevante Rechtsnormen

§ 83 Abs 1 PatG, § 117 PatG, §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 ZPO

Sachverhalt

Der BGH hatte im Berufungsverfahren zu entscheiden, ob dem Kläger im Hinblick auf § 117 PatG i.V.m. § 531 Abs. 2 ZPO zu gestatten war, weitere Schriften zur Frage des Naheliegens und dem Stand der Technik geltend zu machen. Der BGH verneinte dies und führte aus, dass dieser Vortrag neues Tatsachenvorbringen sei, da es nicht lediglich eine Vertiefung und Konkretisierung des erstinstanzlichen Vortrags darstelle. Denn die Klägerin habe sich in erster Instanz insoweit auf das allgemeine Fachwissen über die Eigenschaften von thermoplastischen und duroplastischen Kunststoffen berufen, während sie nun insoweit geltend mache, thermoplastische Kunststoffe seien im Stand der Technik bereits für den hier in Rede stehenden Zweck eingesetzt worden. Damit zeige sie einen neuen Gesichtspunkt und eine neue Tatsache i.S.v. § 117 PatG auf (BGHZ 194, 290 Rn. 36 = GRUR 2012, 1236 – Fahrzeugwechselstromgenerator).

Bisherige Rechtsprechung

Nach st. Rspr. beurteilt sich die Frage, ob ein weiteres Vorbringen in der Berufungsinstanz eine neue Tatsache i.S.v. § 117 PatG i.V.m. § 529 Abs. 1 ZPO ist, und damit ein neues Angriffsmittel im Sinne der § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, danach, ob dieses Vorbringen dasjenige in der ersten Instanz nur „zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert“ oder aber erstmals in zweiter Instanz „substantiiert“; dann ist es neu, wobei der BGH von einem patentrechtlichen Tatsachenbegriff ausgeht, der auch die technische Bewertung z.B. einer Schrift umfasst (BGHZ 194, 290 – Fahrzeugwechselstromgenerator). Dies wird, wie vorliegend, insbesondere beachtlich, wenn der unzureichende Vortrag der Klägerin in ers- ter Instanz zur fehlenden Patentfähigkeit in zweiter Instanz mit weiteren Schriften nachgefüttert wird oder technische Informationen aus bereits vorgelegte Schriften anders oder ergänzend bewertet werden sollen. Für die Frage der Zulassung im Berufungsverfahren und einer Nachlässigkeit, welche sich nach § 117 PatG i.V.m. § 531 ZPO stellt, kommt in diesem Zusammenhang dem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG entscheidende Bedeutung zu. Dieser dient nach st. Rspr. dazu, die sich aus der Klagebegründung ergebende Argumentation sachgerecht zu fokussieren (BGH GRUR 2014, 1026 – Analog-Digital-Wandler; BGHZ 194, 290 – Fahrzeugwechselstromgenerator), so dass die Klägerin ihren weiteren Vortrag hieran auszurichten und fristgemäß zu reagieren hat, wenn der Hinweis inhaltlich hierzu Veranlassung gibt (BGH GRUR 2013, 912 – Walzstraße), mag andererseits auch der Patentinhaber weiter vortragen. Vorliegend hatte der BGH den gegenteiligen Fall zu beurteilen.

Entscheidungsgründe

Aus dem gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis des Patentgerichts ergab sich für die Klägerin, dass das Patentgericht den Gegenstand dieses Anspruchs jedenfalls als potentiell patentfähig ansah. Die Klägerin war deshalb zu ergänzendem Vortrag innerhalb der gesetzten Frist gehalten. Sie hat auch reagiert, allerdings war der Vortrag für die Verneinung der Patentfähigkeit nicht ausreichend. Aus dem Hinweis des Patentgerichts ergab sich zwar nicht im Einzelnen, welche Gesichtspunkte insoweit von Bedeutung sein könnten. Diesbezügliche Hinweise waren aber auch nicht veranlasst, weil es Aufgabe der Klägerin ist, die Gründe aufzuzeigen, aus denen die Patentfähigkeit zu verneinen ist. Die in zweiter Instanz ergänzend vorgelegten Schriften mit denen die Klägerin nun mehr ggü dem Vorbringen erster Instanz belegen will, thermoplastische Kunststoffe seien im Stand der Technik bereits für den hier in Rede stehenden Zweck eingesetzt worden, während sie sich in erster Instanz insoweit auf das allgemeine Fachwissen berufen hat, sind danach als nicht entschuldigtes neues Tatsachenvorbringen gemäß § 117 PatG und § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen. Denn die Klägerin hatte bereits in erster Instanz aufgrund des Hinweises nach § 83 PatG Anlass, Entgegenhaltungen vorzulegen.

Konsequenz

Lesen Sie dazu die Beiträge “Beschränkte Verteidigung durch Aufnahme von angegriffenen Unteransprüchen als neues Verteidigungsmittel im Nichtigkeitsberufungsverfahren | BGH Telekommunikationsverbindung” und “Verspätungsregime im Nichtigkeitsverfahren zu Lasten des Patentinhabers deutlich verschärft | BGH Photokatalytische Titandioxidschicht” von Rainer Engels.

Die vorliegende Entscheidung zeigt zunächst ein interessantes Beispiel für die im Berufungsverfahren entscheidende Abgrenzung zur Frage neuer Tatsachen als neues Angriffsmittel i.S.v. § 117 PatG auf, die in noch größere Schärfe bereits der Entscheidung BGHZ 194, 290 – Fahrzeugwechselstromgenerator zur Vorlage eines Privatgutachtens zugrunde lag. In dieser hat der BGH zugleich unter Berücksichtigung eines auch die technische Bewertung umfassenden patentrechtlichen Tatsachenbegriffs ausgeführt, dass ein Vorbringen als neues Angriffsmittel auch dann neu ist, wenn dieses zwar auf eine bereits in erster Instanz vorgelegte Schrift gestützt wird, wenn aber in erster Instanz zu der konkreten technischen Information und den Anregungen zu der erfindungsgemäßen Lehre, die der Fachmann nach dem Berufungsvortrag der Schrift entnehmen soll, nicht vorgetragen worden ist.

Zugleich wird vorliegend die zentrale Bedeutung der Fokussierung des Prozessstoffs durch § 83 PatG als Weichenstellung für ein auch in zweiter Instanz mögliches Nachreichen von Tatsachen als neue Angriffsmittel deutlich, welches ebenso auf der Gegenseite auf Seiten des Patentinhabers auf die Frage anzuwenden ist, ob neue Fassungen der Patentansprüche oder eine erstmalige Verteidigung eines Unteranspruchs als neue Verteidigungsmittel in zweiter Instanz zuzulassen sind (hierzu BGH GRUR 2016, 365 – Telekommunikationsverbindung; GRUR 2016, 1143 – Photokatalytische Titandioxidschicht). Wie diese Entscheidung zeigt, besteht insoweit Waffengleichheit mit dem Patentinhaber.

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