Unteransprüche als neues Verteidigungsmittel im Nichtigkeitsberufungsverfahren | BGH Telekommunikationsverbindung

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Lesen Sie dazu den Beitrag “Verspätungsregime im Nichtigkeitsverfahren zu Lasten des Patentinhabers deutlich verschärft | BGH Photokatalytische Titandioxidschicht” von Rainer Engels.

Parallel zur der Entscheidung Photokatalytische Titandioxidschicht (GRUR 2016, 1143) zum Verspätungsregime erster Instanz im Patentnichtigkeitsverfahren fixiert der BGH in der vorliegenden Entscheidung die hilfsweise Verteidigung des Streitpatents mit geänderten Ansprüchen als neue Verteidigungsmittel im Sinne des § 117 PatG und folgert:

1. Die hilfsweise Verteidigung des Streitpatents mit geänderten Ansprüchen in der Berufungsinstanz kann regelmäßig nicht als sachdienlich im Sinne von § 116 Abs. 2 Nr. 1 PatG angesehen werden, wenn der Beklagte dazu bereits in erster Instanz Veranlassung hatte.

2. Ein Anlass zur zumindest hilfsweisen beschränkten Verteidigung in der ersten Instanz kann sich daraus ergeben, dass das Patentgericht in seinem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis mitgeteilt hat, dass nach seiner vorläufigen Auffassung der Gegenstand des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen dürfte.

3. Macht der Beklagte in der ersten Instanz keinen eigenständigen erfinderischen Gehalt der auf den Hauptanspruch rückbezogenen Unteransprüche des Streitpatents geltend und erklärt er nach richterlichem Hinweis in der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht, dass es bei der Verteidigung der erteilten Fassung sein Bewenden haben soll, handelt es sich um ein neues Verteidigungsmittel, wenn der Beklagte in der Berufungsinstanz das Streitpatent erstmals hilfsweise beschränkt durch die Kombination des Hauptanspruchs mit Unteransprüchen des Streitpatents verteidigt und sich zur Begründung auf einen eigenständigen erfinderischen Gehalt der Unteransprüche beruft.

Zum Urteil

BGH/Urt./ 15.12.2015/X ZR 111/13 (veröff. in GRUR 2016, 365)

Relevante Rechtsnormen

§ 83 Abs 1 PatG, § 116 Abs 2 Nr 1 PatG, § 117 PatG, 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO

Sachverhalt

Lesen Sie dazu den Beitrag “Bringschuld des Patentinhabers für die Verteidigung von Unteransprüchen im Bestandsverfahren bestätigt | BGH Datengenerator” von Rainer Engels.

Der Beklagte hatte in der ersten Instanz trotz des für ihn negativen Hinweises nach § 83 PatG keinen eigenständigen erfinderischen Gehalt der auf den Hauptanspruch rückbezogenen Unteransprüche des Streitpatents geltend gemacht und nach richterlichem Hinweis in der mündlichen Verhandlung vor dem BPatG erklärt, dass es bei der Verteidigung der erteilten Fassung sein Bewenden haben soll. In der Berufungsinstanz verteidigte der Patentinhaber das Patent dagegen hilfsweise beschränkt durch die Kombination des Hauptanspruchs mit Unteransprüchen des Streitpatents und machte insoweit einen eigenständigen erfinderischen Gehalt der Unteransprüche geltend (hierzu BGH GRUR 2017, 57 – Datengenerator). Der BGH wies diese Verteidigung als nicht sachdienlich nach § 116 Abs. 2 Nr. 1 PatG und den hierzu gehaltenen Sachvortrag als nicht zulässiges neues Verteidigungsmittel i.S.v. § 117 PatG i.V.m. 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO zurück.

Bisherige Rechtsprechung

Nach der Rspr. des BGH ist die erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachte Verteidigung eines Patents in geänderter Fassung i.d.R. nur gemäß § 116 Abs. 2 PatG als neues Verteidigungsmittel (hierzu und zum Fristenregime BGH GRUR 2016, 1143 – Photokatalytische Titandioxidschicht) zulässig, da sachdienlich, wie auch das weitere, hierzu erst in der Berufungsinstanz gehaltene Tatsachvorbringen als neues Verteidigungsmittel i.S.v. § 117 PatG i.V.m. 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO nicht auf Nachlässigkeit beruhend (hierzu und zum Fristenregime BGH GRUR 2016, 1143 – Photokatalytische Titandioxidschicht), wenn der Beklagte mit der Änderung einer von der erstinstanzlichen Beurteilung abweichenden Rechtsauffassung des BGH Rechnung trägt (BGH GRUR 2013, 912 Rn. 57 – Walzstraße; zum Kläger BGH GRUR 2017, 148 – Opto-Bauelement) oder der Patentinhaber unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des BPatG, insbesondere nach dem § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis, keinen Anlass hatte, zusätzlich zu Hilfsanträgen, die dem erteilten Hinweis Rechnung tragen, vorsorglich weitere Hilfsanträge im Hinblick auf Angriffsmittel zu stellen, auf die das Patentgericht in seinem Hinweis nicht eingegangen ist oder die es als nicht aussichtsreich eingeschätzt hat (BGH GRUR 2014, 1026 Rn. 31 – Analog-Digital-Wandler). Damit beruht auch regelmäßig der hierzu erst in der Berufungsinstanz gehaltene Tatsachenvortrag als neues Verteidigungsmittel i.S.v. § 116 Abs. 2 Nr. 2, 117 PatG i.V. mit § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO nicht auf Nachlässigkeit.

Entscheidungsgründe

Die Verteidigung des Streitpatents in der Fassung, der zuletzt noch geltend gemachten Hilfsanträge ist unzulässig, da weder die Klägerin der Verteidigung des Streitpatents in den geänderten Fassungen zugestimmt hat, noch kann diese als sachdienlich angesehen werden, § 116 Abs. 2 Nr. 1 PatG. Der insoweit hilfsweise verteidigte Gegenstand des Streitpatents ist auch als neues Verteidigungsmittel i.S.v. § 117 PatG i.V.m. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO anzusehen, da deren Nichtgeltendmachung in erster Instanz im Hinblick auf den gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis auf einer Nachlässigkeit der Beklagten beruht. Die Beklagten haben sich vor dem BPatG auf die Geltendmachung eines erfinderischen Gehalts des Anspruchs 1 beschränkt, indem sie einen eigenständigen erfinderischen Gehalt der rückbezogenen Unteransprüche des Streitpatents nicht vorgetragen und auf Nachfrage des Vorsitzenden im Hinblick auf die Ankündigung, eine hilfsweise Verteidigung des Streitpatents durch die Aufnahme von Merkmalen aus den Unteransprüchen zu beabsichtigen, in der mündlichen Verhandlung erklärt haben, dass es bei der Verteidigung der erteilten Fassung sein Bewenden haben solle. Entsprechend war auch der Prüfungsumfang des Patentgerichts auf den insoweit von der Beklagten verteidigten Anspruchssatz beschränkt (BGHZ 173, 47, 22 ff. – Informationsübermittlungsverfahren II).

Konsequenz

Mit dieser Entscheidung komplettiert der BGH die aktuelle Rspr. zur Bedeutung einer Selbstbeschränkung und der Antragsbindung für den Prüfungsumfang in einem an sich eindeutigen Fall erstmaliger eingeschränkter Verteidigung in der Berufungsinstanz, welche der BGH ganz aktuell in der späteren Entscheidung Datengenerator (GRUR 2017, 57) allgemein zur Bedeutung von Unteransprüchen zusammengefasst hat, und in der späteren Entscheidung Photokatalytische Titandioxidschicht (GRUR 2016, 1143) auch mit Blick auf § 83 PatG bestätigt und verallgemeinert hat. Beachtlich ist diese Entscheidung insoweit, als sie erstmals für die Beurteilung, was ein neues und unentschuldigt versäumtes Verteidigungsmittel i.S.v. § 117 PatG ist, klarstellt, dass hierunter jede Verteidigung fällt, die sich erstmals hinzugefügter Merkmale angegriffener, aber bisher nicht verteidigter Unteransprüche bedient, hier deren Kombination. Abweichend hierzu hatte die Rspr des BPatG (Urt. v. 12.3.2013, 4 Ni 13/11) zu § 83 PatG und der unentschuldigten Verspätung danach differenziert, ob die Aufnahme von Merkmalen aus der Beschreibung bzw. aus nicht angegriffenen Ansprüchen oder aber aus angegriffenen Ansprüchen erfolgt, was im letztgenannten Fall immer als zulässig angesehen worden, da der Kläger stets Anlass für eine vorsorgliche Beschäftigung und Recherche mit angegriffenen Ansprüchen und ihren Merkmalen habe, deshalb keine Vertagung mit dem Wunsch weiterer Recherche verlangen könnte. Dies hat der BGH in Photokatalytische Titandioxidschicht (GRUR 2017 1143) abgelehnt. Damit werden die Obliegenheiten des Patentinhabers auch im Hinblick auf eine diesbezügliche, erst die Prüfungspflicht auslösende „Bringschuld“ bei Unteransprüchen und das daraus abgeleitete Verspätungsregime im Nichtigkeitsverfahren zu Lasten des Patentinhabers erheblich verschärft.

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