Weichenstellung durch qualifizierten Hinweis im Nichtigkeitsverfahren | BGH Fahrzeugscheibe II

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Die hilfsweise Verteidigung des Streitpatents mit geänderten Ansprüchen in der Berufungsinstanz kann als sachdienlich anzusehen sein, wenn das Patentgericht den Beklagten erst in der mündlichen Verhandlung davon in Kenntnis gesetzt hat, dass es an einer im Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG geäußerten, dem Beklagten günstigen Einschätzung nicht festhält.

Zum Urteil

BGH/Urt./ 21.06.2016/X ZR 41/14 (veröff. in GRUR 2016, 1038)

Relevante Rechtsnormen

§ 83 Abs 1 PatG, § 116 Abs 2, 117 PatG; §§ 160, 161 ZPO; § 282 ZPO; §§ 160, 161 ZPO; § 282 ZPO

Sachverhalt

Der BGH hatte im Berufungsverfahren zu entscheiden, ob die geltend gemachte Verteidigung des Streitpatents in der Fassung der erst im Berufungsverfahren aufgestellten Hilfsanträge zulässig war, da sachdienlich, so dass es einer Zustimmung der Klägerin nicht bedurfte (§ 116 Abs. 2 Nr. 1 PatG); damit war auch die inhaltliche Änderung der Ansprüche als neues Tatsachenvorbringen der Berufungsinstanz und neues Verteidigungsmittel nach § 117 PatG i.V.m. §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht auf Nachlässigkeit beruhend und zuzulassen.

Bisherige Rechtsprechung

Lesen Sie dazu die Beiträge “Beschränkte Verteidigung durch Aufnahme von angegriffenen Unteransprüchen als neues Verteidigungsmittel im Nichtigkeitsberufungsverfahren | BGH Telekommunikationsverbindung“,

Verspätungsregime im Nichtigkeitsverfahren zu Lasten des Patentinhabers deutlich verschärft | BGH Photokatalytische Titandioxidschicht” und

Waffengleichheit für die Berufungsinstanz im Nichtigkeitsverfahren | BGH Opto-Bauelement” von Rainer Engels.

Nach der Rspr. des BGH ist die erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachte Verteidigung eines Patents in geänderter Fassung in der Regel gemäß § 116 Abs. 2 PatG zulässig, da sachdienlich, wie auch der hierzu erst in der Berufungsinstanz gehaltene Sachvortrag nach § 117 PatG i.V.m. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht auf Nachlässigkeit beruht und nicht als neues Verteidigungsmittel zurückzuweisen ist, wenn der Beklagte mit der Änderung einer von der erstinstanzlichen Beurteilung abweichenden Rechtsauffassung des BGH Rechnung trägt und den Gegenstand des Patents auf dasjenige einschränkt, was sich nach Auffassung des Patentgerichts schon aus der erteilten Fassung ergibt (BGH GRUR 2013, 912 Rn. 57 – Walzstraße; GRUR 2017). Gleiches gilt für den Fall, dass das Patentgericht in dem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis nur einzelne Angriffsmittel des Klägers aufgreift und der Beklagte daher keinen Anlass hat, zusätzlich zu Hilfsanträgen, die dem erteilten Hinweis Rechnung tragen, vorsorglich weitere Hilfsanträge im Hinblick auf Angriffsmittel zu stellen, auf die das Patentgericht in seinem Hinweis nicht eingegangen ist oder die es als nicht aussichtsreich eingeschätzt hat (BGH GRUR 2014, 1026 Rn. 31 – Analog-Digital-Wandler). Dagegen kann die hilfsweise Verteidigung des Streitpatents mit geänderten Ansprüchen in der Berufungsinstanz regelmäßig nicht als sachdienlich im Sinne von § 116 Abs. 2 Nr. 1 PatG angesehen werden, wenn der Beklagte dazu in Anbetracht seiner Prozessförderungspflicht bereits in erster Instanz Veranlassung hatte (BGH GRUR 2016, 365 Rn. 26 – Telekommunikationsverbindung; GRUR 2016, 1143  Photokatalytische Titandioxidschicht; zum Kläger BGH GRUR 2017, 148 – Opto-Bauelement).

Entscheidungsgründe

Die Verteidigung des Streitpatents in der Fassung der Hilfsanträge ist zulässig. Zwar hat die Klägerin der Verteidigung des Streitpatents in den geänderten Fassungen nicht zugestimmt, die darin liegende Antragsänderung ist jedoch sachdienlich, da der Beklagten kein nachlässiges Verhalten zur Last gelegt werden kann. Das Patentgericht hat in seinem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG die vorläufige Einschätzung geäußert, der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei zwar nicht in der erteilten Fassung, jedoch in der Fassung des damaligen Hilfsantrags, der dem jetzigen Hauptantrag entspricht, patentfähig. Die Beklagte hat diesen Hinweis zum Anlass genommen, den damaligen Hilfsantrag als neuen Hauptantrag zu stellen. Der Hinweis gab ihr jedoch keine Veranlassung zu weiteren Hilfsanträgen. Nach dem Hinweis des Patentgerichts hat die Klägerin ihr Vorbringen zur fehlenden Patentfähigkeit des Gegenstands des jetzigen Hauptantrags ergänzt und hierzu eine Reihe weiterer Entgegenhaltungen vorgelegt und erörtert. Die Beklagte musste dies nicht zum Anlass nehmen, vorsorglich weitere Hilfsanträge zu stellen, solange das Patentgericht keine Änderung seiner vorläufigen Einschätzung bekundete. Erst in der mündlichen Verhandlung wurde die Beklagte vom Patentgericht darüber in Kenntnis gesetzt, dass es unter dem Eindruck des ergänzten Vorbringens der Klägerin an seiner im Hinweisbeschluss geäußerten vorläufigen Einschätzung nicht mehr festhalte. Erst diese Mitteilung musste der Beklagten Anlass geben zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Form eine Verteidigung des Streitpatents in einer weiter beschränkten Fassung in Betracht komme. Sie hat daraufhin erklärt, das Streitpatent hilfsweise in mehreren beschränkten Fassungen verteidigen zu wollen, damals jedoch noch nicht die Fassungen zur Entscheidung gestellt, in denen sie das Streitpatent nunmehr mit den Hilfsanträgen I bis III verteidigt. Dies steht der Sachdienlichkeit dieser Anträge jedoch nicht entgegen. Bei der Prüfung der Frage, ob und ggf. in welcher Form eine beschränkte Verteidigung des Streitpatents in einer geänderten Fassung in Betracht kommt, sind im Hinblick auf die Anforderungen an die Zulässigkeit einer solchen Verteidigung und ihre Erfolgsaussichten komplexe Überlegungen anzustellen. Dies wird regelmäßig dagegen sprechen, dem Patentinhaber eine Vernachlässigung der Pflicht zur Prozessförderung zur Last zu legen, wenn es ihm nicht gelingt, diese Überlegungen während der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht abzuschließen. Dies gilt insb., wenn – wie hier – dem Protokoll der mündlichen Verhandlung nicht zu entnehmen ist, ob das Patentgericht deutlich gemacht hat, auf welchen konkreten Überlegungen die Änderung der vorläufigen Einschätzung beruht, so dass es für den Patentinhaber nicht ohne Weiteres erkennbar ist, welche Beschränkungen zweckmäßig sein können, um den Bedenken des Gerichts Rechnung zu tragen.

Konsequenz

Die vorliegend Entscheidung zeigt deutlich die Auswirkungen der durch den qualifizierten Hinweis nach § 83 PatG ausgelösten Fokussierung des Prozessstoffs und die hieraus abzuleitenden Pflichten der Parteien zu einem ausreichenden und rechtzeitigen Vortrag in der ersten Instanz als Ausdruck der Prozessförderungspflicht, wie sie auch in § 282 ZPO zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig zeigt die Entscheidung auf, dass die Anforderungen auch nicht überspannt werden dürfen und der BGH hier dem Patentinhaber weit entgegenkommt, zumal dieser nach dem Ergebnis dieser Entscheidung zum Zwecke des Rechtserhalts in der Berufungsinstanz nicht einmal gehalten war, eine Vertagung oder einen Schriftsatznachlass nach § 283 ZPO zum Zwecke der Einreichung weiterer Ansprüche geltend zu machen. Nebenbei macht die Entscheidung auch die Bedeutung einer hinreichend Protokollierung deutlich, auf welche die Parteien in den Grenzen der §§ 160, 161 ZPO Anspruch haben.

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